Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

deinem Gatten; er kann sich nicht gegen das Nothwendige
stemmen. Alles Lob verdient der Eifer dieses Fremdlings,
aber er wird es büßen müssen, und du wirst gelästert wer¬
den. Höret deßwegen den Entschluß, den mir die Ueber¬
legung eingegeben hat. Ich habe beschlossen, zu sterben,
ich verbanne jede niedrige Regung aus meiner freien
Brust und will es vollenden. Auf mir ruht jetzt jedes
Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt
der Flotte und der Fall Troja's, auf mir die Ehre der
griechischen Frauen. Alles dieses werde ich mit meinem
Tode schirmen; mit Ruhm wird sich mein Name bedecken,
die Befreierin Griechenlands werde ich heißen. Soll ich,
eine Sterbliche, der Göttin Artemis in den Weg treten,
weil es ihr gefällt, mein Leben für das Vaterland zu
verlangen? Nein, ich gebe es willig dahin, opfert mich,
zerstöret Troja, das wird mein Denkmal seyn und mein
Hochzeitsfest."

Mit leuchtendem Blicke, wie eine Göttin, stand
Iphigenia vor der Mutter und dem Peliden, während sie
also sprach. Da senkte sich der herrliche Jüngling Achilles
vor ihr auf ein Knie und rief: "Kind Agamemnons! die
Götter machten mich zum glückseligsten Menschen, wenn
mir deine Hand zu Theil würde. Um dich beneide ich
Griechenland, und um Griechenland, das dir angetrauet
ist, dich. Liebessehnsucht ergreift mich nach dir, du Herr¬
liche, nun ich dein Wesen geschaut habe. Erwäg' es
wohl! der Tod ist ein schreckliches Uebel, ich aber möchte
dir gerne Gutes thun, möchte dich heimführen zum Leben
und Glück!" Lächelnd erwiederte ihm Iphigenia: "Män¬
nerkrieg und Mord genug hat Frauenschönheit durch die
Tyndaridin Helena angeregt, mein lieber Freund, stirb

deinem Gatten; er kann ſich nicht gegen das Nothwendige
ſtemmen. Alles Lob verdient der Eifer dieſes Fremdlings,
aber er wird es büßen müſſen, und du wirſt geläſtert wer¬
den. Höret deßwegen den Entſchluß, den mir die Ueber¬
legung eingegeben hat. Ich habe beſchloſſen, zu ſterben,
ich verbanne jede niedrige Regung aus meiner freien
Bruſt und will es vollenden. Auf mir ruht jetzt jedes
Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt
der Flotte und der Fall Troja's, auf mir die Ehre der
griechiſchen Frauen. Alles dieſes werde ich mit meinem
Tode ſchirmen; mit Ruhm wird ſich mein Name bedecken,
die Befreierin Griechenlands werde ich heißen. Soll ich,
eine Sterbliche, der Göttin Artemis in den Weg treten,
weil es ihr gefällt, mein Leben für das Vaterland zu
verlangen? Nein, ich gebe es willig dahin, opfert mich,
zerſtöret Troja, das wird mein Denkmal ſeyn und mein
Hochzeitsfeſt.“

Mit leuchtendem Blicke, wie eine Göttin, ſtand
Iphigenia vor der Mutter und dem Peliden, während ſie
alſo ſprach. Da ſenkte ſich der herrliche Jüngling Achilles
vor ihr auf ein Knie und rief: „Kind Agamemnons! die
Götter machten mich zum glückſeligſten Menſchen, wenn
mir deine Hand zu Theil würde. Um dich beneide ich
Griechenland, und um Griechenland, das dir angetrauet
iſt, dich. Liebesſehnſucht ergreift mich nach dir, du Herr¬
liche, nun ich dein Weſen geſchaut habe. Erwäg' es
wohl! der Tod iſt ein ſchreckliches Uebel, ich aber möchte
dir gerne Gutes thun, möchte dich heimführen zum Leben
und Glück!“ Lächelnd erwiederte ihm Iphigenia: „Män¬
nerkrieg und Mord genug hat Frauenſchönheit durch die
Tyndaridin Helena angeregt, mein lieber Freund, ſtirb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="42"/>
deinem Gatten; er kann &#x017F;ich nicht gegen das Nothwendige<lb/>
&#x017F;temmen. Alles Lob verdient der Eifer die&#x017F;es Fremdlings,<lb/>
aber er wird es büßen mü&#x017F;&#x017F;en, und du wir&#x017F;t gelä&#x017F;tert wer¬<lb/>
den. Höret deßwegen den Ent&#x017F;chluß, den mir die Ueber¬<lb/>
legung eingegeben hat. Ich habe be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, zu &#x017F;terben,<lb/>
ich verbanne jede niedrige Regung aus meiner freien<lb/>
Bru&#x017F;t und will es vollenden. Auf mir ruht jetzt jedes<lb/>
Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt<lb/>
der Flotte und der Fall Troja's, auf mir die Ehre der<lb/>
griechi&#x017F;chen Frauen. Alles die&#x017F;es werde ich mit meinem<lb/>
Tode &#x017F;chirmen; mit Ruhm wird &#x017F;ich mein Name bedecken,<lb/>
die Befreierin Griechenlands werde ich heißen. Soll ich,<lb/>
eine Sterbliche, der Göttin Artemis in den Weg treten,<lb/>
weil es ihr gefällt, mein Leben für das Vaterland zu<lb/>
verlangen? Nein, ich gebe es willig dahin, opfert mich,<lb/>
zer&#x017F;töret Troja, das wird mein Denkmal &#x017F;eyn und mein<lb/>
Hochzeitsfe&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Mit leuchtendem Blicke, wie eine Göttin, &#x017F;tand<lb/>
Iphigenia vor der Mutter und dem Peliden, während &#x017F;ie<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;prach. Da &#x017F;enkte &#x017F;ich der herrliche Jüngling Achilles<lb/>
vor ihr auf ein Knie und rief: &#x201E;Kind Agamemnons! die<lb/>
Götter machten mich zum glück&#x017F;elig&#x017F;ten Men&#x017F;chen, wenn<lb/>
mir deine Hand zu Theil würde. Um dich beneide ich<lb/>
Griechenland, und um Griechenland, das dir angetrauet<lb/>
i&#x017F;t, dich. Liebes&#x017F;ehn&#x017F;ucht ergreift mich nach dir, du Herr¬<lb/>
liche, nun ich dein We&#x017F;en ge&#x017F;chaut habe. Erwäg' es<lb/>
wohl! der Tod i&#x017F;t ein &#x017F;chreckliches Uebel, ich aber möchte<lb/>
dir gerne Gutes thun, möchte dich heimführen zum Leben<lb/>
und Glück!&#x201C; Lächelnd erwiederte ihm Iphigenia: &#x201E;Män¬<lb/>
nerkrieg und Mord genug hat Frauen&#x017F;chönheit durch die<lb/>
Tyndaridin Helena angeregt, mein lieber Freund, &#x017F;tirb<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0064] deinem Gatten; er kann ſich nicht gegen das Nothwendige ſtemmen. Alles Lob verdient der Eifer dieſes Fremdlings, aber er wird es büßen müſſen, und du wirſt geläſtert wer¬ den. Höret deßwegen den Entſchluß, den mir die Ueber¬ legung eingegeben hat. Ich habe beſchloſſen, zu ſterben, ich verbanne jede niedrige Regung aus meiner freien Bruſt und will es vollenden. Auf mir ruht jetzt jedes Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt der Flotte und der Fall Troja's, auf mir die Ehre der griechiſchen Frauen. Alles dieſes werde ich mit meinem Tode ſchirmen; mit Ruhm wird ſich mein Name bedecken, die Befreierin Griechenlands werde ich heißen. Soll ich, eine Sterbliche, der Göttin Artemis in den Weg treten, weil es ihr gefällt, mein Leben für das Vaterland zu verlangen? Nein, ich gebe es willig dahin, opfert mich, zerſtöret Troja, das wird mein Denkmal ſeyn und mein Hochzeitsfeſt.“ Mit leuchtendem Blicke, wie eine Göttin, ſtand Iphigenia vor der Mutter und dem Peliden, während ſie alſo ſprach. Da ſenkte ſich der herrliche Jüngling Achilles vor ihr auf ein Knie und rief: „Kind Agamemnons! die Götter machten mich zum glückſeligſten Menſchen, wenn mir deine Hand zu Theil würde. Um dich beneide ich Griechenland, und um Griechenland, das dir angetrauet iſt, dich. Liebesſehnſucht ergreift mich nach dir, du Herr¬ liche, nun ich dein Weſen geſchaut habe. Erwäg' es wohl! der Tod iſt ein ſchreckliches Uebel, ich aber möchte dir gerne Gutes thun, möchte dich heimführen zum Leben und Glück!“ Lächelnd erwiederte ihm Iphigenia: „Män¬ nerkrieg und Mord genug hat Frauenſchönheit durch die Tyndaridin Helena angeregt, mein lieber Freund, ſtirb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/64
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/64>, abgerufen am 24.11.2024.