Vater, lieblich ist das Licht zu schauen, nöthige mich nicht, das zu sehen, was die Nacht verbirgt! Gedenke deiner Liebkosungen, mit welchen du mich als Kind auf deinem Vaterschooße gewiegt hast. Noch weiß ich alle deine Reden, wie du hofftest mich in eines edlen Mannes Wohnung ein¬ zuführen, mich in Wohlergehen und Blüthe zu schauen, wenn du heimgekehrt wärest. Du aber hast das Alles vergessen; du willst mich tödten! O thu es nicht, bei dieser Mutter beschwöre ich dich, die mich mit Schmerzen geboren hat, und jetzt noch größeren Schmerz um mich empfindet! Was gehen mich Helena und Paris an? Warum muß ich sterben, weil er nach Griechenland gekommen ist? O blicke mich an; gönne mir dein Auge, deinen Kuß, daß ich doch sterbend noch ein Andenken von dir empfange, wenn dich mein Wort nicht mehr zu rühren vermag! Sieh deinen Knaben, meinen Bruder an, Vater; schweigend fleht er für mich. Er ist noch ein Küchlein; ich aber bin herangereift! So laß dich doch erweichen und erbarme dich meiner. Das Licht zu schauen ist für Sterbliche doch das Holdseligste! Elend leben ist besser, als der allerschönste Tod!"
Aber Agamemnons Entschluß war gefaßt, er stand unerbittlich wie ein Fels und sprach: "Wo ich Mitleid fühlen darf, da fühle ich Mitleid: denn ich liebe meine Kinder, ich wäre ja sonst ein Rasender. Mit schwerem Herzen, o Gemahlin, führe ich das Schreckliche aus, aber ich muß. Ihr sehet ja, welch ein Schiffsheer mich umringt, wie viele Fürsten im Kriegspanzer mich umstehen; diese Alle finden die Fahrt nach Troja nicht, Troja wird nicht erobert, wenn ich dich nicht opfere, Kind, nach dem Ausspruche des Sehers. Diese Helden alle wollen den
Vater, lieblich iſt das Licht zu ſchauen, nöthige mich nicht, das zu ſehen, was die Nacht verbirgt! Gedenke deiner Liebkoſungen, mit welchen du mich als Kind auf deinem Vaterſchooße gewiegt haſt. Noch weiß ich alle deine Reden, wie du hoffteſt mich in eines edlen Mannes Wohnung ein¬ zuführen, mich in Wohlergehen und Blüthe zu ſchauen, wenn du heimgekehrt wäreſt. Du aber haſt das Alles vergeſſen; du willſt mich tödten! O thu es nicht, bei dieſer Mutter beſchwöre ich dich, die mich mit Schmerzen geboren hat, und jetzt noch größeren Schmerz um mich empfindet! Was gehen mich Helena und Paris an? Warum muß ich ſterben, weil er nach Griechenland gekommen iſt? O blicke mich an; gönne mir dein Auge, deinen Kuß, daß ich doch ſterbend noch ein Andenken von dir empfange, wenn dich mein Wort nicht mehr zu rühren vermag! Sieh deinen Knaben, meinen Bruder an, Vater; ſchweigend fleht er für mich. Er iſt noch ein Küchlein; ich aber bin herangereift! So laß dich doch erweichen und erbarme dich meiner. Das Licht zu ſchauen iſt für Sterbliche doch das Holdſeligſte! Elend leben iſt beſſer, als der allerſchönſte Tod!“
Aber Agamemnons Entſchluß war gefaßt, er ſtand unerbittlich wie ein Fels und ſprach: „Wo ich Mitleid fühlen darf, da fühle ich Mitleid: denn ich liebe meine Kinder, ich wäre ja ſonſt ein Raſender. Mit ſchwerem Herzen, o Gemahlin, führe ich das Schreckliche aus, aber ich muß. Ihr ſehet ja, welch ein Schiffsheer mich umringt, wie viele Fürſten im Kriegspanzer mich umſtehen; dieſe Alle finden die Fahrt nach Troja nicht, Troja wird nicht erobert, wenn ich dich nicht opfere, Kind, nach dem Ausſpruche des Sehers. Dieſe Helden alle wollen den
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Vater, lieblich iſt das Licht zu ſchauen, nöthige mich nicht,
das zu ſehen, was die Nacht verbirgt! Gedenke deiner
Liebkoſungen, mit welchen du mich als Kind auf deinem
Vaterſchooße gewiegt haſt. Noch weiß ich alle deine Reden,
wie du hoffteſt mich in eines edlen Mannes Wohnung ein¬
zuführen, mich in Wohlergehen und Blüthe zu ſchauen,
wenn du heimgekehrt wäreſt. Du aber haſt das Alles
vergeſſen; du willſt mich tödten! O thu es nicht, bei
dieſer Mutter beſchwöre ich dich, die mich mit Schmerzen
geboren hat, und jetzt noch größeren Schmerz um mich
empfindet! Was gehen mich Helena und Paris an?
Warum muß ich ſterben, weil er nach Griechenland
gekommen iſt? O blicke mich an; gönne mir dein Auge,
deinen Kuß, daß ich doch ſterbend noch ein Andenken von
dir empfange, wenn dich mein Wort nicht mehr zu rühren
vermag! Sieh deinen Knaben, meinen Bruder an, Vater;
ſchweigend fleht er für mich. Er iſt noch ein Küchlein;
ich aber bin herangereift! So laß dich doch erweichen
und erbarme dich meiner. Das Licht zu ſchauen iſt für
Sterbliche doch das Holdſeligſte! Elend leben iſt beſſer,
als der allerſchönſte Tod!“
Aber Agamemnons Entſchluß war gefaßt, er ſtand
unerbittlich wie ein Fels und ſprach: „Wo ich Mitleid
fühlen darf, da fühle ich Mitleid: denn ich liebe meine
Kinder, ich wäre ja ſonſt ein Raſender. Mit ſchwerem
Herzen, o Gemahlin, führe ich das Schreckliche aus,
aber ich muß. Ihr ſehet ja, welch ein Schiffsheer mich
umringt, wie viele Fürſten im Kriegspanzer mich umſtehen;
dieſe Alle finden die Fahrt nach Troja nicht, Troja wird
nicht erobert, wenn ich dich nicht opfere, Kind, nach dem
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/62>, abgerufen am 23.11.2024.
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