Erde zugleich; die Felsabhänge des Vorgebirges Kaphareus erbebten und die Gestade donnerten ringsumher unter der Peitsche des Herrschers. Da wurde zuletzt der mächtige Felsblock, an welchen sich Ajax mit den Händen ange¬ klammert hielt, vom Grunde losgerüttelt, und mit ihm der Lokrer wieder ins Meer hinausgestoßen, daß der an¬ spülende Schaum ihm Haupt und Barthaar weiß färbte. Auf den Versinkenden stürzte Neptunus noch einen losge¬ rissenen Erdhügel des Vorgebirges, daß der Scheitel des¬ selben den Lokrerfürsten, wie einst der Aetna den Enceladus, deckte. So unterlag er, von der Erde und vom Meere zugleich bezwungen.
Die Schiffe der Danaer irrten indessen schwankend und leck auf der stürmenden See umher; viele waren ge¬ borsten, viele von den Wogen verschlungen; die Meer¬ fluth tobte fort und der Regen strömte herab, als drohte dem nahen Lande eine zweite deucalionische Fluth. Jetzt wurde auch noch die Steinigung des Palamedes an den unglücklichen Griechen gerächt. Auf Euböa herrschte näm¬ lich noch immer der Vater dieses Helden, Nauplius. Als dieser an seiner Küste die griechische Flotte erblickte, die mit dem fürchterlichen Sturme rang, gedachte er der hin¬ terlistigen Ermordung seines geliebten Sohnes, um welchen er nun so viele Jahre trauerte. Die Rachelust war in seinem Herzen nie eingeschlummert, und jetzt endlich hoffte er sie büßen zu können. Er eilte an den Strand, ließ längs des kapharischen Vorgebirges, den gefährlichsten Klippen gegenüber, brennende Fackeln aufstecken, und machte dadurch in den Griechen den Glauben rege, daß es Rettungszeichen seyen, welche mitleidige Uferbewohner für sie aufgepflanzt hätten. In dieser Hoffnung steuerten
Erde zugleich; die Felsabhänge des Vorgebirges Kaphareus erbebten und die Geſtade donnerten ringsumher unter der Peitſche des Herrſchers. Da wurde zuletzt der mächtige Felsblock, an welchen ſich Ajax mit den Händen ange¬ klammert hielt, vom Grunde losgerüttelt, und mit ihm der Lokrer wieder ins Meer hinausgeſtoßen, daß der an¬ ſpülende Schaum ihm Haupt und Barthaar weiß färbte. Auf den Verſinkenden ſtürzte Neptunus noch einen losge¬ riſſenen Erdhügel des Vorgebirges, daß der Scheitel deſ¬ ſelben den Lokrerfürſten, wie einſt der Aetna den Enceladus, deckte. So unterlag er, von der Erde und vom Meere zugleich bezwungen.
Die Schiffe der Danaer irrten indeſſen ſchwankend und leck auf der ſtürmenden See umher; viele waren ge¬ borſten, viele von den Wogen verſchlungen; die Meer¬ fluth tobte fort und der Regen ſtrömte herab, als drohte dem nahen Lande eine zweite deucalioniſche Fluth. Jetzt wurde auch noch die Steinigung des Palamedes an den unglücklichen Griechen gerächt. Auf Euböa herrſchte näm¬ lich noch immer der Vater dieſes Helden, Nauplius. Als dieſer an ſeiner Küſte die griechiſche Flotte erblickte, die mit dem fürchterlichen Sturme rang, gedachte er der hin¬ terliſtigen Ermordung ſeines geliebten Sohnes, um welchen er nun ſo viele Jahre trauerte. Die Racheluſt war in ſeinem Herzen nie eingeſchlummert, und jetzt endlich hoffte er ſie büßen zu können. Er eilte an den Strand, ließ längs des kaphariſchen Vorgebirges, den gefährlichſten Klippen gegenüber, brennende Fackeln aufſtecken, und machte dadurch in den Griechen den Glauben rege, daß es Rettungszeichen ſeyen, welche mitleidige Uferbewohner für ſie aufgepflanzt hätten. In dieſer Hoffnung ſteuerten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0458"n="436"/>
Erde zugleich; die Felsabhänge des Vorgebirges Kaphareus<lb/>
erbebten und die Geſtade donnerten ringsumher unter der<lb/>
Peitſche des Herrſchers. Da wurde zuletzt der mächtige<lb/>
Felsblock, an welchen ſich Ajax mit den Händen ange¬<lb/>
klammert hielt, vom Grunde losgerüttelt, und mit ihm<lb/>
der Lokrer wieder ins Meer hinausgeſtoßen, daß der an¬<lb/>ſpülende Schaum ihm Haupt und Barthaar weiß färbte.<lb/>
Auf den Verſinkenden ſtürzte Neptunus noch einen losge¬<lb/>
riſſenen Erdhügel des Vorgebirges, daß der Scheitel deſ¬<lb/>ſelben den Lokrerfürſten, wie einſt der Aetna den Enceladus,<lb/>
deckte. So unterlag er, von der Erde und vom Meere<lb/>
zugleich bezwungen.</p><lb/><p>Die Schiffe der Danaer irrten indeſſen ſchwankend<lb/>
und leck auf der ſtürmenden See umher; viele waren ge¬<lb/>
borſten, viele von den Wogen verſchlungen; die Meer¬<lb/>
fluth tobte fort und der Regen ſtrömte herab, als drohte<lb/>
dem nahen Lande eine zweite deucalioniſche Fluth. Jetzt<lb/>
wurde auch noch die Steinigung des Palamedes an den<lb/>
unglücklichen Griechen gerächt. Auf Euböa herrſchte näm¬<lb/>
lich noch immer der Vater dieſes Helden, Nauplius. Als<lb/>
dieſer an ſeiner Küſte die griechiſche Flotte erblickte, die<lb/>
mit dem fürchterlichen Sturme rang, gedachte er der hin¬<lb/>
terliſtigen Ermordung ſeines geliebten Sohnes, um welchen<lb/>
er nun ſo viele Jahre trauerte. Die Racheluſt war in<lb/>ſeinem Herzen nie eingeſchlummert, und jetzt endlich hoffte<lb/>
er ſie büßen zu können. Er eilte an den Strand, ließ<lb/>
längs des kaphariſchen Vorgebirges, den gefährlichſten<lb/>
Klippen gegenüber, brennende Fackeln aufſtecken, und<lb/>
machte dadurch in den Griechen den Glauben rege, daß<lb/>
es Rettungszeichen ſeyen, welche mitleidige Uferbewohner<lb/>
für ſie aufgepflanzt hätten. In dieſer Hoffnung ſteuerten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[436/0458]
Erde zugleich; die Felsabhänge des Vorgebirges Kaphareus
erbebten und die Geſtade donnerten ringsumher unter der
Peitſche des Herrſchers. Da wurde zuletzt der mächtige
Felsblock, an welchen ſich Ajax mit den Händen ange¬
klammert hielt, vom Grunde losgerüttelt, und mit ihm
der Lokrer wieder ins Meer hinausgeſtoßen, daß der an¬
ſpülende Schaum ihm Haupt und Barthaar weiß färbte.
Auf den Verſinkenden ſtürzte Neptunus noch einen losge¬
riſſenen Erdhügel des Vorgebirges, daß der Scheitel deſ¬
ſelben den Lokrerfürſten, wie einſt der Aetna den Enceladus,
deckte. So unterlag er, von der Erde und vom Meere
zugleich bezwungen.
Die Schiffe der Danaer irrten indeſſen ſchwankend
und leck auf der ſtürmenden See umher; viele waren ge¬
borſten, viele von den Wogen verſchlungen; die Meer¬
fluth tobte fort und der Regen ſtrömte herab, als drohte
dem nahen Lande eine zweite deucalioniſche Fluth. Jetzt
wurde auch noch die Steinigung des Palamedes an den
unglücklichen Griechen gerächt. Auf Euböa herrſchte näm¬
lich noch immer der Vater dieſes Helden, Nauplius. Als
dieſer an ſeiner Küſte die griechiſche Flotte erblickte, die
mit dem fürchterlichen Sturme rang, gedachte er der hin¬
terliſtigen Ermordung ſeines geliebten Sohnes, um welchen
er nun ſo viele Jahre trauerte. Die Racheluſt war in
ſeinem Herzen nie eingeſchlummert, und jetzt endlich hoffte
er ſie büßen zu können. Er eilte an den Strand, ließ
längs des kaphariſchen Vorgebirges, den gefährlichſten
Klippen gegenüber, brennende Fackeln aufſtecken, und
machte dadurch in den Griechen den Glauben rege, daß
es Rettungszeichen ſeyen, welche mitleidige Uferbewohner
für ſie aufgepflanzt hätten. In dieſer Hoffnung ſteuerten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/458>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.