Höhe, daß seine Arme abglitten und warf ihn mit einem Stoße des linken Fußes auf den Boden. Die Zuschauer jauchzten laut auf. Ajax aber raffte sich empor und be¬ gann den Kampf aufs Neue, und so wütheten sie, wie zwei Stiere im Gebirg ihre eisernen Köpfe gegeneinander stoßen; dießmal faßte Ajax den Diomedes an den Schul¬ tern und warf ihn wie einen Felsen mit unwiderstehlicher Kraft auf den Boden, daß er dahin rollte und die Helden umher Beifall jubelten. Doch auch Diomedes raffte sich empor und bereitete sich zum dritten Gange. Da stellte sich Nestor zwischen beide hinein und sprach: "Macht die¬ sem Ringen doch ein Ende, Kinder, wir Alle wissen auch ohnedem, daß ihr, seit wir den großen Achilles verloren haben, die Tapfersten unter allen Argivern seyd!" Ein Ruf der Zustimmung hallte durch die Luft aus dem zu¬ schauenden Heere, die Ringer wischten sich den Schweiß von der Stirne, fielen einander in die Arme und küßten sich. Thetis beschenkte sie mit vier gefangenen Sklavin¬ nen, die sich durch Fleiß und Herzensgüte auszeichneten und die Achilles einst auf Lesbos erbeutet hatte. Die eine von ihnen verstand das Essen in der Küche zu besorgen, die andere kredenzte den Wein beim Mahle, die dritte reichte das Wasser am Schlusse desselben, die letzte trug die Speisen von der Tafel ab; und alle viere wurden nur von der schön gelockten Briseis an Reiz übertroffen. In diese vier theilten sich die beiden Kämpfer und sandten das liebliche Geschenk zu den Schiffen.
Hierauf begann der Faustkampf, zu dem sich Ido¬ meneus erhob, der geübteste Kämpfer in allen Arten des¬ selben. Darum, und auch weil er einer der älteren Hel¬ den war, traten die Andern alle ehrfurchtsvoll vor ihm
Höhe, daß ſeine Arme abglitten und warf ihn mit einem Stoße des linken Fußes auf den Boden. Die Zuſchauer jauchzten laut auf. Ajax aber raffte ſich empor und be¬ gann den Kampf aufs Neue, und ſo wütheten ſie, wie zwei Stiere im Gebirg ihre eiſernen Köpfe gegeneinander ſtoßen; dießmal faßte Ajax den Diomedes an den Schul¬ tern und warf ihn wie einen Felſen mit unwiderſtehlicher Kraft auf den Boden, daß er dahin rollte und die Helden umher Beifall jubelten. Doch auch Diomedes raffte ſich empor und bereitete ſich zum dritten Gange. Da ſtellte ſich Neſtor zwiſchen beide hinein und ſprach: „Macht die¬ ſem Ringen doch ein Ende, Kinder, wir Alle wiſſen auch ohnedem, daß ihr, ſeit wir den großen Achilles verloren haben, die Tapferſten unter allen Argivern ſeyd!“ Ein Ruf der Zuſtimmung hallte durch die Luft aus dem zu¬ ſchauenden Heere, die Ringer wiſchten ſich den Schweiß von der Stirne, fielen einander in die Arme und küßten ſich. Thetis beſchenkte ſie mit vier gefangenen Sklavin¬ nen, die ſich durch Fleiß und Herzensgüte auszeichneten und die Achilles einſt auf Lesbos erbeutet hatte. Die eine von ihnen verſtand das Eſſen in der Küche zu beſorgen, die andere kredenzte den Wein beim Mahle, die dritte reichte das Waſſer am Schluſſe deſſelben, die letzte trug die Speiſen von der Tafel ab; und alle viere wurden nur von der ſchön gelockten Briſëis an Reiz übertroffen. In dieſe vier theilten ſich die beiden Kämpfer und ſandten das liebliche Geſchenk zu den Schiffen.
Hierauf begann der Fauſtkampf, zu dem ſich Ido¬ meneus erhob, der geübteſte Kämpfer in allen Arten deſ¬ ſelben. Darum, und auch weil er einer der älteren Hel¬ den war, traten die Andern alle ehrfurchtsvoll vor ihm
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Höhe, daß ſeine Arme abglitten und warf ihn mit einem
Stoße des linken Fußes auf den Boden. Die Zuſchauer
jauchzten laut auf. Ajax aber raffte ſich empor und be¬
gann den Kampf aufs Neue, und ſo wütheten ſie, wie
zwei Stiere im Gebirg ihre eiſernen Köpfe gegeneinander
ſtoßen; dießmal faßte Ajax den Diomedes an den Schul¬
tern und warf ihn wie einen Felſen mit unwiderſtehlicher
Kraft auf den Boden, daß er dahin rollte und die Helden
umher Beifall jubelten. Doch auch Diomedes raffte ſich
empor und bereitete ſich zum dritten Gange. Da ſtellte
ſich Neſtor zwiſchen beide hinein und ſprach: „Macht die¬
ſem Ringen doch ein Ende, Kinder, wir Alle wiſſen auch
ohnedem, daß ihr, ſeit wir den großen Achilles verloren
haben, die Tapferſten unter allen Argivern ſeyd!“ Ein
Ruf der Zuſtimmung hallte durch die Luft aus dem zu¬
ſchauenden Heere, die Ringer wiſchten ſich den Schweiß
von der Stirne, fielen einander in die Arme und küßten
ſich. Thetis beſchenkte ſie mit vier gefangenen Sklavin¬
nen, die ſich durch Fleiß und Herzensgüte auszeichneten
und die Achilles einſt auf Lesbos erbeutet hatte. Die eine
von ihnen verſtand das Eſſen in der Küche zu beſorgen,
die andere kredenzte den Wein beim Mahle, die dritte
reichte das Waſſer am Schluſſe deſſelben, die letzte trug
die Speiſen von der Tafel ab; und alle viere wurden
nur von der ſchön gelockten Briſëis an Reiz übertroffen.
In dieſe vier theilten ſich die beiden Kämpfer und ſandten
das liebliche Geſchenk zu den Schiffen.
Hierauf begann der Fauſtkampf, zu dem ſich Ido¬
meneus erhob, der geübteſte Kämpfer in allen Arten deſ¬
ſelben. Darum, und auch weil er einer der älteren Hel¬
den war, traten die Andern alle ehrfurchtsvoll vor ihm
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/374>, abgerufen am 25.11.2024.
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