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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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unbegrabenen Sohnes gedenkend, den Klagen ein Ende,
indem er sie daran erinnerte, den Leichnam des Helden zu
waschen, aufs Lager zu legen und ihm dann die letzte
Ehre der Todten zu erweisen. Dieß geschah; der
Leib des Peliden wurde mit warmem Wasser abgewaschen
und mit schönen Gewändern umhüllt, die ihm seine Mut¬
ter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun
so im Zelte niedergelassen da lag, warf Minerva vom
Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling,
und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambrosia's,
von dem Götterbalsam, von dem es heißt, daß er die
Todten vor Entstellung und Verwesung bewahre. Da¬
durch machte sie ihn frisch und einem Lebendigen ähnlich.
Auf die Stirne legte sie ihm den schrecklichen Ausdruck,
von dem sein Antlitz beseelt war, als er über den Tod
seines geliebten Patroklus zürnte, und dem ganzen Leibe
verlieh sie ein schönes und lebensvolles Ansehen. Alle
Argiver, welche ihn zu sehen kamen, ergriff Staunen, wie
der Held in riesiger Größe, schön und herrlich auf dem
Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer
und würde nun bald wieder erwachen.

Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten
Helden drang auch in die tiefe See zu seiner Mutter
Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort
wohnen. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüther
und sie stöhnten so jammervoll, daß der Hellespont wie¬
derhallte. Voll Begierde eilten sie nächtlicher Weile in
Schaaren durch die sich vor ihnen theilende Meerfluth
herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen stan¬
den. Alle Ungeheuer des Meeres stöhnten mit ihnen;
sie aber nahten wehklagend dem Leichnam und Thetis

unbegrabenen Sohnes gedenkend, den Klagen ein Ende,
indem er ſie daran erinnerte, den Leichnam des Helden zu
waſchen, aufs Lager zu legen und ihm dann die letzte
Ehre der Todten zu erweiſen. Dieß geſchah; der
Leib des Peliden wurde mit warmem Waſſer abgewaſchen
und mit ſchönen Gewändern umhüllt, die ihm ſeine Mut¬
ter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun
ſo im Zelte niedergelaſſen da lag, warf Minerva vom
Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling,
und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambroſia's,
von dem Götterbalſam, von dem es heißt, daß er die
Todten vor Entſtellung und Verweſung bewahre. Da¬
durch machte ſie ihn friſch und einem Lebendigen ähnlich.
Auf die Stirne legte ſie ihm den ſchrecklichen Ausdruck,
von dem ſein Antlitz beſeelt war, als er über den Tod
ſeines geliebten Patroklus zürnte, und dem ganzen Leibe
verlieh ſie ein ſchönes und lebensvolles Anſehen. Alle
Argiver, welche ihn zu ſehen kamen, ergriff Staunen, wie
der Held in rieſiger Größe, ſchön und herrlich auf dem
Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer
und würde nun bald wieder erwachen.

Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten
Helden drang auch in die tiefe See zu ſeiner Mutter
Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort
wohnen. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüther
und ſie ſtöhnten ſo jammervoll, daß der Helleſpont wie¬
derhallte. Voll Begierde eilten ſie nächtlicher Weile in
Schaaren durch die ſich vor ihnen theilende Meerfluth
herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen ſtan¬
den. Alle Ungeheuer des Meeres ſtöhnten mit ihnen;
ſie aber nahten wehklagend dem Leichnam und Thetis

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[347/0369] unbegrabenen Sohnes gedenkend, den Klagen ein Ende, indem er ſie daran erinnerte, den Leichnam des Helden zu waſchen, aufs Lager zu legen und ihm dann die letzte Ehre der Todten zu erweiſen. Dieß geſchah; der Leib des Peliden wurde mit warmem Waſſer abgewaſchen und mit ſchönen Gewändern umhüllt, die ihm ſeine Mut¬ ter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun ſo im Zelte niedergelaſſen da lag, warf Minerva vom Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling, und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambroſia's, von dem Götterbalſam, von dem es heißt, daß er die Todten vor Entſtellung und Verweſung bewahre. Da¬ durch machte ſie ihn friſch und einem Lebendigen ähnlich. Auf die Stirne legte ſie ihm den ſchrecklichen Ausdruck, von dem ſein Antlitz beſeelt war, als er über den Tod ſeines geliebten Patroklus zürnte, und dem ganzen Leibe verlieh ſie ein ſchönes und lebensvolles Anſehen. Alle Argiver, welche ihn zu ſehen kamen, ergriff Staunen, wie der Held in rieſiger Größe, ſchön und herrlich auf dem Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer und würde nun bald wieder erwachen. Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten Helden drang auch in die tiefe See zu ſeiner Mutter Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort wohnen. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüther und ſie ſtöhnten ſo jammervoll, daß der Helleſpont wie¬ derhallte. Voll Begierde eilten ſie nächtlicher Weile in Schaaren durch die ſich vor ihnen theilende Meerfluth herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen ſtan¬ den. Alle Ungeheuer des Meeres ſtöhnten mit ihnen; ſie aber nahten wehklagend dem Leichnam und Thetis

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/369>, abgerufen am 06.05.2024.