Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

werden müßten!" Wüthender Zorn bemächtigte sich des
Helden, als er aus dem Munde eines Elenden solche
Schmähworte hören mußte. Er versetzte dem häßlichen
Schelter mit der bloßen Faust einen solchen Streich auf
die Wange, daß ihm die Zähne aus dem Munde fielen,
ein Blutstrom hervorschoß, und Thersites, sich auf dem
Boden krümmend, seine feige Seele aushauchte. Da war
unter den Umstehenden keiner, der ihn bedauert hätte, denn
sein einziges Geschäft war gewesen, Andere zu schmähen,
indeß er selbst im Felde und im Rathe sich immer nur
als einen armseligen Wicht bewies. Achilles aber sprach
voll Unmuth: "Hier magst du denn im Staube liegen und
deine Thorheit vergessen lernen! Denn Thorheit ist es,
wenn der Schlechtere sich dem Bessern gleichstellen will!
Wie mich, hast du schon früher den Odysseus gereizt, aber
er war zu großmüthig, dich zu bestrafen. Jetzt erfuhrest
du, daß der Sohn des Peleus sich nicht ungestraft schel¬
ten läßt. Geh jetzt, und schmähe bei den Schatten!"

Nur Einer war unter dem ganzen griechischen Heere,
dem der Tod des Thersites die Galle aufregte: Diomedes,
des Tydeus Sohn, und zwar deßwegen, weil der Er¬
schlagene aus Einem Blute mit ihm entsprungen war,
denn sein Großvater Oeneus und des Thersites Vater
waren Brüder gewesen. Darum zürnte jetzt Diomedes,
und er hätte die Waffen gegen Achilles erhoben, wenn
nicht die edelsten Danaer ins Mittel getreten wären, denn
auch der Pelide war bereit, ihm für das Blut seines Vetters
mit dem Schwerte Genugthuung zu geben. So aber ließen
sich beide beschwichtigen.

Die Atriden selbst erlaubten nun, voll Mitleid und
Bewunderung für die getödtete Jungfrau, daß dem Könige

werden müßten!“ Wüthender Zorn bemächtigte ſich des
Helden, als er aus dem Munde eines Elenden ſolche
Schmähworte hören mußte. Er verſetzte dem häßlichen
Schelter mit der bloßen Fauſt einen ſolchen Streich auf
die Wange, daß ihm die Zähne aus dem Munde fielen,
ein Blutſtrom hervorſchoß, und Therſites, ſich auf dem
Boden krümmend, ſeine feige Seele aushauchte. Da war
unter den Umſtehenden keiner, der ihn bedauert hätte, denn
ſein einziges Geſchäft war geweſen, Andere zu ſchmähen,
indeß er ſelbſt im Felde und im Rathe ſich immer nur
als einen armſeligen Wicht bewies. Achilles aber ſprach
voll Unmuth: „Hier magſt du denn im Staube liegen und
deine Thorheit vergeſſen lernen! Denn Thorheit iſt es,
wenn der Schlechtere ſich dem Beſſern gleichſtellen will!
Wie mich, haſt du ſchon früher den Odyſſeus gereizt, aber
er war zu großmüthig, dich zu beſtrafen. Jetzt erfuhreſt
du, daß der Sohn des Peleus ſich nicht ungeſtraft ſchel¬
ten läßt. Geh jetzt, und ſchmähe bei den Schatten!“

Nur Einer war unter dem ganzen griechiſchen Heere,
dem der Tod des Therſites die Galle aufregte: Diomedes,
des Tydeus Sohn, und zwar deßwegen, weil der Er¬
ſchlagene aus Einem Blute mit ihm entſprungen war,
denn ſein Großvater Oeneus und des Therſites Vater
waren Brüder geweſen. Darum zürnte jetzt Diomedes,
und er hätte die Waffen gegen Achilles erhoben, wenn
nicht die edelſten Danaer ins Mittel getreten wären, denn
auch der Pelide war bereit, ihm für das Blut ſeines Vetters
mit dem Schwerte Genugthuung zu geben. So aber ließen
ſich beide beſchwichtigen.

Die Atriden ſelbſt erlaubten nun, voll Mitleid und
Bewunderung für die getödtete Jungfrau, daß dem Könige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0352" n="330"/>
werden müßten!&#x201C; Wüthender Zorn bemächtigte &#x017F;ich des<lb/>
Helden, als er aus dem Munde eines Elenden &#x017F;olche<lb/>
Schmähworte hören mußte. Er ver&#x017F;etzte dem häßlichen<lb/>
Schelter mit der bloßen Fau&#x017F;t einen &#x017F;olchen Streich auf<lb/>
die Wange, daß ihm die Zähne aus dem Munde fielen,<lb/>
ein Blut&#x017F;trom hervor&#x017F;choß, und Ther&#x017F;ites, &#x017F;ich auf dem<lb/>
Boden krümmend, &#x017F;eine feige Seele aushauchte. Da war<lb/>
unter den Um&#x017F;tehenden keiner, der ihn bedauert hätte, denn<lb/>
&#x017F;ein einziges Ge&#x017F;chäft war gewe&#x017F;en, Andere zu &#x017F;chmähen,<lb/>
indeß er &#x017F;elb&#x017F;t im Felde und im Rathe &#x017F;ich immer nur<lb/>
als einen arm&#x017F;eligen Wicht bewies. Achilles aber &#x017F;prach<lb/>
voll Unmuth: &#x201E;Hier mag&#x017F;t du denn im Staube liegen und<lb/>
deine Thorheit verge&#x017F;&#x017F;en lernen! Denn Thorheit i&#x017F;t es,<lb/>
wenn der Schlechtere &#x017F;ich dem Be&#x017F;&#x017F;ern gleich&#x017F;tellen will!<lb/>
Wie mich, ha&#x017F;t du &#x017F;chon früher den Ody&#x017F;&#x017F;eus gereizt, aber<lb/>
er war zu großmüthig, dich zu be&#x017F;trafen. Jetzt erfuhre&#x017F;t<lb/>
du, daß der Sohn des Peleus &#x017F;ich nicht unge&#x017F;traft &#x017F;chel¬<lb/>
ten läßt. Geh jetzt, und &#x017F;chmähe bei den Schatten!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nur Einer war unter dem ganzen griechi&#x017F;chen Heere,<lb/>
dem der Tod des Ther&#x017F;ites die Galle aufregte: Diomedes,<lb/>
des Tydeus Sohn, und zwar deßwegen, weil der Er¬<lb/>
&#x017F;chlagene aus Einem Blute mit ihm ent&#x017F;prungen war,<lb/>
denn &#x017F;ein Großvater Oeneus und des Ther&#x017F;ites Vater<lb/>
waren Brüder gewe&#x017F;en. Darum zürnte jetzt Diomedes,<lb/>
und er hätte die Waffen gegen Achilles erhoben, wenn<lb/>
nicht die edel&#x017F;ten Danaer ins Mittel getreten wären, denn<lb/>
auch der Pelide war bereit, ihm für das Blut &#x017F;eines Vetters<lb/>
mit dem Schwerte Genugthuung zu geben. So aber ließen<lb/>
&#x017F;ich beide be&#x017F;chwichtigen.</p><lb/>
          <p>Die Atriden &#x017F;elb&#x017F;t erlaubten nun, voll Mitleid und<lb/>
Bewunderung für die getödtete Jungfrau, daß dem Könige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0352] werden müßten!“ Wüthender Zorn bemächtigte ſich des Helden, als er aus dem Munde eines Elenden ſolche Schmähworte hören mußte. Er verſetzte dem häßlichen Schelter mit der bloßen Fauſt einen ſolchen Streich auf die Wange, daß ihm die Zähne aus dem Munde fielen, ein Blutſtrom hervorſchoß, und Therſites, ſich auf dem Boden krümmend, ſeine feige Seele aushauchte. Da war unter den Umſtehenden keiner, der ihn bedauert hätte, denn ſein einziges Geſchäft war geweſen, Andere zu ſchmähen, indeß er ſelbſt im Felde und im Rathe ſich immer nur als einen armſeligen Wicht bewies. Achilles aber ſprach voll Unmuth: „Hier magſt du denn im Staube liegen und deine Thorheit vergeſſen lernen! Denn Thorheit iſt es, wenn der Schlechtere ſich dem Beſſern gleichſtellen will! Wie mich, haſt du ſchon früher den Odyſſeus gereizt, aber er war zu großmüthig, dich zu beſtrafen. Jetzt erfuhreſt du, daß der Sohn des Peleus ſich nicht ungeſtraft ſchel¬ ten läßt. Geh jetzt, und ſchmähe bei den Schatten!“ Nur Einer war unter dem ganzen griechiſchen Heere, dem der Tod des Therſites die Galle aufregte: Diomedes, des Tydeus Sohn, und zwar deßwegen, weil der Er¬ ſchlagene aus Einem Blute mit ihm entſprungen war, denn ſein Großvater Oeneus und des Therſites Vater waren Brüder geweſen. Darum zürnte jetzt Diomedes, und er hätte die Waffen gegen Achilles erhoben, wenn nicht die edelſten Danaer ins Mittel getreten wären, denn auch der Pelide war bereit, ihm für das Blut ſeines Vetters mit dem Schwerte Genugthuung zu geben. So aber ließen ſich beide beſchwichtigen. Die Atriden ſelbſt erlaubten nun, voll Mitleid und Bewunderung für die getödtete Jungfrau, daß dem Könige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/352
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/352>, abgerufen am 06.05.2024.