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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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sehr er sich nach dem Kampfe sehnte, es doch nicht sogleich
wagte, dem Willen des Donnerers entgegen zu handeln,
und mitten auf dem Wege nach dem Schlachtfelde stille
stand. Er war unschlüssig, ob er zum Olymp zurückkehren
sollte, oder dem Vater trotzend hingehen und seine Hände
in das Blut des Achilles tauchen. Zuletzt gedachte er
jedoch der vielen Söhne Jupiters selbst, die nach dem
Rathschlusse des Vaters sterben müßten, und die er selbst
nicht im Stande gewesen, vor dem Tode zu schützen. So
besann er sich denn des Besseren; kannte er ja doch seinen
allgewaltigen Vater und wußte, daß, wer sich ihm wider¬
setzt, vom Blitze gebändigt und zu den Titanen in die
Unterwelt hinabgeschleudert wird.

Um den Leichnam Penthesilea's drängten sich inzwi¬
schen die Danaer, und fingen an, die Todten ihrer Waf¬
fen zu berauben. Achilles aber stand mit ganz verwan¬
deltem Gemüthe daneben, er, der noch so eben ihren Leib
den Hunden und Vögeln zum Fraße hatte preis geben
wollen. Mit tiefer Wehmuth blickte er auf die Jungfrau
hernieder, und es nagte ihm keine geringere Qual am
Herzen, als einst, da er um seinen liebsten Freund, den
erschlagenen Patroklus, jammerte.

Unter den herbeiströmenden Griechen näherte sich auch
der häßliche Thersites, und fiel den Helden mit schmähen¬
den Reden an: "Bist du nicht ein Thor," rief er ihm zu,
"daß du dich um die Jungfrau abhärmen magst, die uns
Allen doch so vielfaches Unheil bereitet hat? Du zeigst
dich fürwahr als einen weibischen Lüstling, daß dich eine
Sehnsucht nach der Schönheit dieser Erschlagenen beschleicht!
Hätte dich doch ihre Lanze in der Schlacht getödtet, du
Unersättlicher, der du meinst, daß alle Weiber deine Beute

ſehr er ſich nach dem Kampfe ſehnte, es doch nicht ſogleich
wagte, dem Willen des Donnerers entgegen zu handeln,
und mitten auf dem Wege nach dem Schlachtfelde ſtille
ſtand. Er war unſchlüſſig, ob er zum Olymp zurückkehren
ſollte, oder dem Vater trotzend hingehen und ſeine Hände
in das Blut des Achilles tauchen. Zuletzt gedachte er
jedoch der vielen Söhne Jupiters ſelbſt, die nach dem
Rathſchluſſe des Vaters ſterben müßten, und die er ſelbſt
nicht im Stande geweſen, vor dem Tode zu ſchützen. So
beſann er ſich denn des Beſſeren; kannte er ja doch ſeinen
allgewaltigen Vater und wußte, daß, wer ſich ihm wider¬
ſetzt, vom Blitze gebändigt und zu den Titanen in die
Unterwelt hinabgeſchleudert wird.

Um den Leichnam Pentheſiléa's drängten ſich inzwi¬
ſchen die Danaer, und fingen an, die Todten ihrer Waf¬
fen zu berauben. Achilles aber ſtand mit ganz verwan¬
deltem Gemüthe daneben, er, der noch ſo eben ihren Leib
den Hunden und Vögeln zum Fraße hatte preis geben
wollen. Mit tiefer Wehmuth blickte er auf die Jungfrau
hernieder, und es nagte ihm keine geringere Qual am
Herzen, als einſt, da er um ſeinen liebſten Freund, den
erſchlagenen Patroklus, jammerte.

Unter den herbeiſtrömenden Griechen näherte ſich auch
der häßliche Therſites, und fiel den Helden mit ſchmähen¬
den Reden an: „Biſt du nicht ein Thor,“ rief er ihm zu,
„daß du dich um die Jungfrau abhärmen magſt, die uns
Allen doch ſo vielfaches Unheil bereitet hat? Du zeigſt
dich fürwahr als einen weibiſchen Lüſtling, daß dich eine
Sehnſucht nach der Schönheit dieſer Erſchlagenen beſchleicht!
Hätte dich doch ihre Lanze in der Schlacht getödtet, du
Unerſättlicher, der du meinſt, daß alle Weiber deine Beute

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[329/0351] ſehr er ſich nach dem Kampfe ſehnte, es doch nicht ſogleich wagte, dem Willen des Donnerers entgegen zu handeln, und mitten auf dem Wege nach dem Schlachtfelde ſtille ſtand. Er war unſchlüſſig, ob er zum Olymp zurückkehren ſollte, oder dem Vater trotzend hingehen und ſeine Hände in das Blut des Achilles tauchen. Zuletzt gedachte er jedoch der vielen Söhne Jupiters ſelbſt, die nach dem Rathſchluſſe des Vaters ſterben müßten, und die er ſelbſt nicht im Stande geweſen, vor dem Tode zu ſchützen. So beſann er ſich denn des Beſſeren; kannte er ja doch ſeinen allgewaltigen Vater und wußte, daß, wer ſich ihm wider¬ ſetzt, vom Blitze gebändigt und zu den Titanen in die Unterwelt hinabgeſchleudert wird. Um den Leichnam Pentheſiléa's drängten ſich inzwi¬ ſchen die Danaer, und fingen an, die Todten ihrer Waf¬ fen zu berauben. Achilles aber ſtand mit ganz verwan¬ deltem Gemüthe daneben, er, der noch ſo eben ihren Leib den Hunden und Vögeln zum Fraße hatte preis geben wollen. Mit tiefer Wehmuth blickte er auf die Jungfrau hernieder, und es nagte ihm keine geringere Qual am Herzen, als einſt, da er um ſeinen liebſten Freund, den erſchlagenen Patroklus, jammerte. Unter den herbeiſtrömenden Griechen näherte ſich auch der häßliche Therſites, und fiel den Helden mit ſchmähen¬ den Reden an: „Biſt du nicht ein Thor,“ rief er ihm zu, „daß du dich um die Jungfrau abhärmen magſt, die uns Allen doch ſo vielfaches Unheil bereitet hat? Du zeigſt dich fürwahr als einen weibiſchen Lüſtling, daß dich eine Sehnſucht nach der Schönheit dieſer Erſchlagenen beſchleicht! Hätte dich doch ihre Lanze in der Schlacht getödtet, du Unerſättlicher, der du meinſt, daß alle Weiber deine Beute

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/351>, abgerufen am 25.11.2024.