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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Penthesilea aber stürmte noch immer unbezwungen
unter die Griechen, wie eine Löwin unter einer Rinder¬
herde wüthet, und diese wichen von Schrecken ergriffen
zurück, wo sie nahte. Trunkenen Muthes rief ihnen die
Siegerin entgegen: "Heute noch, ihr Hunde, sollet ihr
die Schmach des Priamus mir büßen. Raubthieren und
Vögeln sollt ihr zum Fraße modern und Keiner von Euch
soll Weib und Kind zu Hause wieder schauen, kein Erd¬
hügel je über euren Gebeinen sich erheben! Wo ist Dio¬
medes, wo Ajax, Telamons Sohn, wo der Pelide Achil¬
les, die besten unter eurem Heere? Warum kommen sie
nicht und messen sich mit mir? Aber freilich, sie wissen,
daß sie vor mir zerschmettert und zu Leichen werden mü߬
ten!" So rief sie und drang voll Verachtung auf die
Argiver ein; bald wüthete sie mit der Art, bald mit dem
Wurfspieß, und den Köcher voll Geschosse trug ihr, falls
sie sein bedürftig wäre, ihr gelenkiges Roß. Ihr nach
drängten sich die Söhne des Priamus und die ersten der
Trojaner. Diesem Andrange vermochten die Griechen
nicht zu widerstehen; wie Blätter im Winde oder wie
Regentropfen fielen sie gedrängt nach einander, bald
war das Gefilde mit argivischen Leichen bedeckt, und die
Rosse der troischen Streitwagen zertraten verfolgend Ge¬
fallene und Todte wie gedroschenes Korn. Den Troja¬
nern war nicht anders zu Sinne, denn als ob eine der
Unsterblichen sichtbar vom Himmel herab gestiegen wäre,
um ihnen die Schaaren der Feinde bekämpfen zu helfen,
und in der thörichten Freude ihres Herzens glaubten sie
schon an deren gänzliche Vernichtung.

Aber noch war das Getöse des Kampfes weder zu
dem gewaltigen Ajax noch zu dem Göttersohn Achilles

Pentheſiléa aber ſtürmte noch immer unbezwungen
unter die Griechen, wie eine Löwin unter einer Rinder¬
herde wüthet, und dieſe wichen von Schrecken ergriffen
zurück, wo ſie nahte. Trunkenen Muthes rief ihnen die
Siegerin entgegen: „Heute noch, ihr Hunde, ſollet ihr
die Schmach des Priamus mir büßen. Raubthieren und
Vögeln ſollt ihr zum Fraße modern und Keiner von Euch
ſoll Weib und Kind zu Hauſe wieder ſchauen, kein Erd¬
hügel je über euren Gebeinen ſich erheben! Wo iſt Dio¬
medes, wo Ajax, Telamons Sohn, wo der Pelide Achil¬
les, die beſten unter eurem Heere? Warum kommen ſie
nicht und meſſen ſich mit mir? Aber freilich, ſie wiſſen,
daß ſie vor mir zerſchmettert und zu Leichen werden mü߬
ten!“ So rief ſie und drang voll Verachtung auf die
Argiver ein; bald wüthete ſie mit der Art, bald mit dem
Wurfſpieß, und den Köcher voll Geſchoſſe trug ihr, falls
ſie ſein bedürftig wäre, ihr gelenkiges Roß. Ihr nach
drängten ſich die Söhne des Priamus und die erſten der
Trojaner. Dieſem Andrange vermochten die Griechen
nicht zu widerſtehen; wie Blätter im Winde oder wie
Regentropfen fielen ſie gedrängt nach einander, bald
war das Gefilde mit argiviſchen Leichen bedeckt, und die
Roſſe der troiſchen Streitwagen zertraten verfolgend Ge¬
fallene und Todte wie gedroſchenes Korn. Den Troja¬
nern war nicht anders zu Sinne, denn als ob eine der
Unſterblichen ſichtbar vom Himmel herab geſtiegen wäre,
um ihnen die Schaaren der Feinde bekämpfen zu helfen,
und in der thörichten Freude ihres Herzens glaubten ſie
ſchon an deren gänzliche Vernichtung.

Aber noch war das Getöſe des Kampfes weder zu
dem gewaltigen Ajax noch zu dem Götterſohn Achilles

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[322/0344] Pentheſiléa aber ſtürmte noch immer unbezwungen unter die Griechen, wie eine Löwin unter einer Rinder¬ herde wüthet, und dieſe wichen von Schrecken ergriffen zurück, wo ſie nahte. Trunkenen Muthes rief ihnen die Siegerin entgegen: „Heute noch, ihr Hunde, ſollet ihr die Schmach des Priamus mir büßen. Raubthieren und Vögeln ſollt ihr zum Fraße modern und Keiner von Euch ſoll Weib und Kind zu Hauſe wieder ſchauen, kein Erd¬ hügel je über euren Gebeinen ſich erheben! Wo iſt Dio¬ medes, wo Ajax, Telamons Sohn, wo der Pelide Achil¬ les, die beſten unter eurem Heere? Warum kommen ſie nicht und meſſen ſich mit mir? Aber freilich, ſie wiſſen, daß ſie vor mir zerſchmettert und zu Leichen werden mü߬ ten!“ So rief ſie und drang voll Verachtung auf die Argiver ein; bald wüthete ſie mit der Art, bald mit dem Wurfſpieß, und den Köcher voll Geſchoſſe trug ihr, falls ſie ſein bedürftig wäre, ihr gelenkiges Roß. Ihr nach drängten ſich die Söhne des Priamus und die erſten der Trojaner. Dieſem Andrange vermochten die Griechen nicht zu widerſtehen; wie Blätter im Winde oder wie Regentropfen fielen ſie gedrängt nach einander, bald war das Gefilde mit argiviſchen Leichen bedeckt, und die Roſſe der troiſchen Streitwagen zertraten verfolgend Ge¬ fallene und Todte wie gedroſchenes Korn. Den Troja¬ nern war nicht anders zu Sinne, denn als ob eine der Unſterblichen ſichtbar vom Himmel herab geſtiegen wäre, um ihnen die Schaaren der Feinde bekämpfen zu helfen, und in der thörichten Freude ihres Herzens glaubten ſie ſchon an deren gänzliche Vernichtung. Aber noch war das Getöſe des Kampfes weder zu dem gewaltigen Ajax noch zu dem Götterſohn Achilles

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/344>, abgerufen am 25.11.2024.