liche Tage in der Verborgenheit verlebte. Endlich lockten ihn Leichenspiele, die der König Priamus für einen ver¬ storbenen Anverwandten hielt, zu der Stadt hinab, die er früher nie betreten hatte. Priamus setzte nämlich bei die¬ sem Feste als Kampfpreis einen Stier aus, den er bei den Hirten des Ida von seinen Heerden holen ließ. Nun traf es sich, daß gerade dieser Stier der Lieblingsstier des Paris war, und da er ihn seinem Herrn dem Könige nicht vorenthalten durfte, so beschloß er wenigstens den Kampf um denselben zu versuchen. Hier siegte er in den Kampf¬ spielen über alle seine Brüder, selbst über den hohen Hektor, der der tapferste und herrlichste von ihnen war. Ein anderer muthiger Sohn des Königs Priamus, Deiphobus, von Zorn und Schaam über seine Niederlage überwältigt, wollte den Hirtenjüngling niederstoßen. Dieser aber flüch¬ tete sich zum Altare Jupiters, und die Tochter des Pria¬ mus, Kassandra, welche die Wahrsagergabe von den Göttern zum Angebinde erhalten hatte, erkannte in ihm ihren ausgesetzten Bruder. Nun umarmten ihn die Eltern, vergaßen über der Freude des Wiedersehens die verhäng¬ nißvolle Weissagung bei seiner Geburt, und nahmen ihn als ihren Sohn auf.
Vorerst kehrte nun Paris zu seiner Gattin und seinen Heerden zurück, indem er auf dem Berge Ida eine statt¬ liche Wohnung als Königssohn erhielt. Bald jedoch fand sich Gelegenheit für ihn zu einem königlicheren Geschäfte, und nun ging er, ohne es zu wissen, dem Preis entgegen, den ihm seine Freundin, die Göttin Aphrodite, verspro¬ chen hatte.
liche Tage in der Verborgenheit verlebte. Endlich lockten ihn Leichenſpiele, die der König Priamus für einen ver¬ ſtorbenen Anverwandten hielt, zu der Stadt hinab, die er früher nie betreten hatte. Priamus ſetzte nämlich bei die¬ ſem Feſte als Kampfpreis einen Stier aus, den er bei den Hirten des Ida von ſeinen Heerden holen ließ. Nun traf es ſich, daß gerade dieſer Stier der Lieblingsſtier des Paris war, und da er ihn ſeinem Herrn dem Könige nicht vorenthalten durfte, ſo beſchloß er wenigſtens den Kampf um denſelben zu verſuchen. Hier ſiegte er in den Kampf¬ ſpielen über alle ſeine Brüder, ſelbſt über den hohen Hektor, der der tapferſte und herrlichſte von ihnen war. Ein anderer muthiger Sohn des Königs Priamus, Deiphobus, von Zorn und Schaam über ſeine Niederlage überwältigt, wollte den Hirtenjüngling niederſtoßen. Dieſer aber flüch¬ tete ſich zum Altare Jupiters, und die Tochter des Pria¬ mus, Kaſſandra, welche die Wahrſagergabe von den Göttern zum Angebinde erhalten hatte, erkannte in ihm ihren ausgeſetzten Bruder. Nun umarmten ihn die Eltern, vergaßen über der Freude des Wiederſehens die verhäng¬ nißvolle Weiſſagung bei ſeiner Geburt, und nahmen ihn als ihren Sohn auf.
Vorerſt kehrte nun Paris zu ſeiner Gattin und ſeinen Heerden zurück, indem er auf dem Berge Ida eine ſtatt¬ liche Wohnung als Königsſohn erhielt. Bald jedoch fand ſich Gelegenheit für ihn zu einem königlicheren Geſchäfte, und nun ging er, ohne es zu wiſſen, dem Preis entgegen, den ihm ſeine Freundin, die Göttin Aphrodite, verſpro¬ chen hatte.
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liche Tage in der Verborgenheit verlebte. Endlich lockten
ihn Leichenſpiele, die der König Priamus für einen ver¬
ſtorbenen Anverwandten hielt, zu der Stadt hinab, die er
früher nie betreten hatte. Priamus ſetzte nämlich bei die¬
ſem Feſte als Kampfpreis einen Stier aus, den er bei
den Hirten des Ida von ſeinen Heerden holen ließ. Nun
traf es ſich, daß gerade dieſer Stier der Lieblingsſtier des
Paris war, und da er ihn ſeinem Herrn dem Könige nicht
vorenthalten durfte, ſo beſchloß er wenigſtens den Kampf
um denſelben zu verſuchen. Hier ſiegte er in den Kampf¬
ſpielen über alle ſeine Brüder, ſelbſt über den hohen Hektor,
der der tapferſte und herrlichſte von ihnen war. Ein anderer
muthiger Sohn des Königs Priamus, Deiphobus, von
Zorn und Schaam über ſeine Niederlage überwältigt,
wollte den Hirtenjüngling niederſtoßen. Dieſer aber flüch¬
tete ſich zum Altare Jupiters, und die Tochter des Pria¬
mus, Kaſſandra, welche die Wahrſagergabe von den
Göttern zum Angebinde erhalten hatte, erkannte in ihm
ihren ausgeſetzten Bruder. Nun umarmten ihn die Eltern,
vergaßen über der Freude des Wiederſehens die verhäng¬
nißvolle Weiſſagung bei ſeiner Geburt, und nahmen ihn
als ihren Sohn auf.
Vorerſt kehrte nun Paris zu ſeiner Gattin und ſeinen
Heerden zurück, indem er auf dem Berge Ida eine ſtatt¬
liche Wohnung als Königsſohn erhielt. Bald jedoch fand
ſich Gelegenheit für ihn zu einem königlicheren Geſchäfte,
und nun ging er, ohne es zu wiſſen, dem Preis entgegen,
den ihm ſeine Freundin, die Göttin Aphrodite, verſpro¬
chen hatte.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/33>, abgerufen am 24.11.2024.
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