Anchises, und Achilles der Pelide. Zuerst schritt Aeneas heraus; vom schweren Helme nickte sein Federbusch, den riesigen Stierschild hielt er vor die Brust, und schwenkte seinen Wurfspieß drohend. Als der Pelide dieß sah, drang auch er wie ein grimmiger Löwe mit Ungestüm vor. Als sie ganz nahe an einander waren, rief er: "Was wagst du dich so weit aus der Menge hervor, Aeneas? Hoffst du etwa, das Volk der Trojaner zu beherrschen, wenn du mich erlegst? Thörichter, diese Ehre wird dir Priamus nie einräumen, hat er doch Söhne die Fülle, und er selbst, der Alte, gedenkt noch nicht vom Throne zu steigen. Oder versprachen dir vielleicht die Trojaner ein köstliches Landgut, wenn du mich erschlügest? Hab' ich dich doch, wie ich meine, im Beginne dieses Kampfes, schon einmal mit meiner Lanze verfolgt! Denkst du nicht mehr daran, wie ich dich, den Vereinzelten, dort von den Rinder¬ herden weg, die Höhen des Ida hinabjagte? Da schau¬ test du dich im Fliehen nicht einmal um, und bis nach der Stadt Lyrnessus trugen dich deine Füße. Ich aber warf sie mit Pallas und Jupiter in Trümmer, und nur die Barmherzigkeit des Letzteren rettete dich, während ich Weiber und Beute genug davon führte. Doch heute wer¬ den dich die Götter nicht zum zweitenmale retten, ich rathe dir, begieb du dich schleunig wieder unter die Menge zurück und hüte dich mir zu begegnen, daß dir kein Leid geschehe!" Dagegen rief Aeneas: "Hoffe mich nicht mit Worten, wie einen Knaben, abzuschrecken, Pelide, herzzerschneidende Worte könnte auch ich dir zurufen. Kennt doch Einer vom Rufe des Andern Geschlecht wohl: daß dich die Meeresgöttin Thetis gebar, weiß ich; ich aber rühme mich, Aphroditens Sohn und Jupiters Enkel zu seyn.
Anchiſes, und Achilles der Pelide. Zuerſt ſchritt Aeneas heraus; vom ſchweren Helme nickte ſein Federbuſch, den rieſigen Stierſchild hielt er vor die Bruſt, und ſchwenkte ſeinen Wurfſpieß drohend. Als der Pelide dieß ſah, drang auch er wie ein grimmiger Löwe mit Ungeſtüm vor. Als ſie ganz nahe an einander waren, rief er: „Was wagſt du dich ſo weit aus der Menge hervor, Aeneas? Hoffſt du etwa, das Volk der Trojaner zu beherrſchen, wenn du mich erlegſt? Thörichter, dieſe Ehre wird dir Priamus nie einräumen, hat er doch Söhne die Fülle, und er ſelbſt, der Alte, gedenkt noch nicht vom Throne zu ſteigen. Oder verſprachen dir vielleicht die Trojaner ein köſtliches Landgut, wenn du mich erſchlügeſt? Hab' ich dich doch, wie ich meine, im Beginne dieſes Kampfes, ſchon einmal mit meiner Lanze verfolgt! Denkſt du nicht mehr daran, wie ich dich, den Vereinzelten, dort von den Rinder¬ herden weg, die Höhen des Ida hinabjagte? Da ſchau¬ teſt du dich im Fliehen nicht einmal um, und bis nach der Stadt Lyrneſſus trugen dich deine Füße. Ich aber warf ſie mit Pallas und Jupiter in Trümmer, und nur die Barmherzigkeit des Letzteren rettete dich, während ich Weiber und Beute genug davon führte. Doch heute wer¬ den dich die Götter nicht zum zweitenmale retten, ich rathe dir, begieb du dich ſchleunig wieder unter die Menge zurück und hüte dich mir zu begegnen, daß dir kein Leid geſchehe!“ Dagegen rief Aeneas: „Hoffe mich nicht mit Worten, wie einen Knaben, abzuſchrecken, Pelide, herzzerſchneidende Worte könnte auch ich dir zurufen. Kennt doch Einer vom Rufe des Andern Geſchlecht wohl: daß dich die Meeresgöttin Thetis gebar, weiß ich; ich aber rühme mich, Aphroditens Sohn und Jupiters Enkel zu ſeyn.
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Anchiſes, und Achilles der Pelide. Zuerſt ſchritt Aeneas
heraus; vom ſchweren Helme nickte ſein Federbuſch, den
rieſigen Stierſchild hielt er vor die Bruſt, und ſchwenkte
ſeinen Wurfſpieß drohend. Als der Pelide dieß ſah,
drang auch er wie ein grimmiger Löwe mit Ungeſtüm vor.
Als ſie ganz nahe an einander waren, rief er: „Was
wagſt du dich ſo weit aus der Menge hervor, Aeneas?
Hoffſt du etwa, das Volk der Trojaner zu beherrſchen,
wenn du mich erlegſt? Thörichter, dieſe Ehre wird dir
Priamus nie einräumen, hat er doch Söhne die Fülle,
und er ſelbſt, der Alte, gedenkt noch nicht vom Throne zu
ſteigen. Oder verſprachen dir vielleicht die Trojaner ein
köſtliches Landgut, wenn du mich erſchlügeſt? Hab' ich
dich doch, wie ich meine, im Beginne dieſes Kampfes, ſchon
einmal mit meiner Lanze verfolgt! Denkſt du nicht mehr
daran, wie ich dich, den Vereinzelten, dort von den Rinder¬
herden weg, die Höhen des Ida hinabjagte? Da ſchau¬
teſt du dich im Fliehen nicht einmal um, und bis nach der
Stadt Lyrneſſus trugen dich deine Füße. Ich aber warf
ſie mit Pallas und Jupiter in Trümmer, und nur die
Barmherzigkeit des Letzteren rettete dich, während ich
Weiber und Beute genug davon führte. Doch heute wer¬
den dich die Götter nicht zum zweitenmale retten, ich rathe
dir, begieb du dich ſchleunig wieder unter die Menge zurück
und hüte dich mir zu begegnen, daß dir kein Leid geſchehe!“
Dagegen rief Aeneas: „Hoffe mich nicht mit Worten,
wie einen Knaben, abzuſchrecken, Pelide, herzzerſchneidende
Worte könnte auch ich dir zurufen. Kennt doch Einer
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mich, Aphroditens Sohn und Jupiters Enkel zu ſeyn.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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