Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

mir entführt, wenn du nicht den Tod vielen Danaern
hättest bereiten wollen! Doch nun laßt uns zum Mahle
gehen, und uns dann zum Angriffe rüsten."

Nachdem der Held so gesprochen, trennte sich die
Versammlung. Als die Tochter des Brises, holdselig wie
Aphrodite, in das Zelt ihres früheren Gebieters trat, und
den Helden Patroklus mit seinen tiefen Speerwunden auf
den Teppichen ausgestreckt daliegen sah, zerschlug sie sich
Brust und Wangen, und warf sich weinend über ihn.
"Ach mein theurer Patroklus," rief sie, "der du mein lieb¬
reichster Freund im Elende warst, blühend verließ ich dich
im Zelte, todt finde ich dich wieder! So verfolgt mich
immer Unheil auf Unheil. Meinen Bräutigam sah ich
vor unserer Stadt vom Speer getödtet, drei leibliche herz¬
lich geliebte Brüder riß mir derselbe Unglückstag von der
Seite weg. Dennoch, als Achilles meinen Freund erschla¬
gen und meine Heimath verheert hatte, wolltest du mich
nie weinen sehen; du versprachst, mich dem Peliden zu
vermählen, sobald du mich auf den Schiffen nach Phthia
gebracht hättest, und dort unter den Myrmidonen meine
Hochzeit zu feiern. Nie werd' ich aufhören, dich zu be¬
weinen, du Freundlicher." So sprach sie weinend, und
ringsum seufzten mit ihr die gefangenen Weiber, zum
Schein um den Patroklus, im Grund aber jede über ihr
eigenes Elend.

Die edelsten Danaerfürsten umringten indessen den
Peliden, indem sie ihn flehentlich baten, sich doch des
Mahles zu erfreuen. Doch er weigerte sich dessen unter
Seufzen. "Wenn ihr wirklich Liebe zu mir heget," sprach
er, "so verlanget nicht, mir das Herz zu erfrischen, ihr
Freunde, mein Kummer duldet es nicht. Laßt mich bleiben,

mir entführt, wenn du nicht den Tod vielen Danaern
hätteſt bereiten wollen! Doch nun laßt uns zum Mahle
gehen, und uns dann zum Angriffe rüſten.“

Nachdem der Held ſo geſprochen, trennte ſich die
Verſammlung. Als die Tochter des Briſes, holdſelig wie
Aphrodite, in das Zelt ihres früheren Gebieters trat, und
den Helden Patroklus mit ſeinen tiefen Speerwunden auf
den Teppichen ausgeſtreckt daliegen ſah, zerſchlug ſie ſich
Bruſt und Wangen, und warf ſich weinend über ihn.
„Ach mein theurer Patroklus,“ rief ſie, „der du mein lieb¬
reichſter Freund im Elende warſt, blühend verließ ich dich
im Zelte, todt finde ich dich wieder! So verfolgt mich
immer Unheil auf Unheil. Meinen Bräutigam ſah ich
vor unſerer Stadt vom Speer getödtet, drei leibliche herz¬
lich geliebte Brüder riß mir derſelbe Unglückstag von der
Seite weg. Dennoch, als Achilles meinen Freund erſchla¬
gen und meine Heimath verheert hatte, wollteſt du mich
nie weinen ſehen; du verſprachſt, mich dem Peliden zu
vermählen, ſobald du mich auf den Schiffen nach Phthia
gebracht hätteſt, und dort unter den Myrmidonen meine
Hochzeit zu feiern. Nie werd' ich aufhören, dich zu be¬
weinen, du Freundlicher.“ So ſprach ſie weinend, und
ringsum ſeufzten mit ihr die gefangenen Weiber, zum
Schein um den Patroklus, im Grund aber jede über ihr
eigenes Elend.

Die edelſten Danaerfürſten umringten indeſſen den
Peliden, indem ſie ihn flehentlich baten, ſich doch des
Mahles zu erfreuen. Doch er weigerte ſich deſſen unter
Seufzen. „Wenn ihr wirklich Liebe zu mir heget,“ ſprach
er, „ſo verlanget nicht, mir das Herz zu erfriſchen, ihr
Freunde, mein Kummer duldet es nicht. Laßt mich bleiben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0277" n="255"/>
mir entführt, wenn du nicht den Tod vielen Danaern<lb/>
hätte&#x017F;t bereiten wollen! Doch nun laßt uns zum Mahle<lb/>
gehen, und uns dann zum Angriffe rü&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nachdem der Held &#x017F;o ge&#x017F;prochen, trennte &#x017F;ich die<lb/>
Ver&#x017F;ammlung. Als die Tochter des Bri&#x017F;es, hold&#x017F;elig wie<lb/>
Aphrodite, in das Zelt ihres früheren Gebieters trat, und<lb/>
den Helden Patroklus mit &#x017F;einen tiefen Speerwunden auf<lb/>
den Teppichen ausge&#x017F;treckt daliegen &#x017F;ah, zer&#x017F;chlug &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
Bru&#x017F;t und Wangen, und warf &#x017F;ich weinend über ihn.<lb/>
&#x201E;Ach mein theurer Patroklus,&#x201C; rief &#x017F;ie, &#x201E;der du mein lieb¬<lb/>
reich&#x017F;ter Freund im Elende war&#x017F;t, blühend verließ ich dich<lb/>
im Zelte, todt finde ich dich wieder! So verfolgt mich<lb/>
immer Unheil auf Unheil. Meinen Bräutigam &#x017F;ah ich<lb/>
vor un&#x017F;erer Stadt vom Speer getödtet, drei leibliche herz¬<lb/>
lich geliebte Brüder riß mir der&#x017F;elbe Unglückstag von der<lb/>
Seite weg. Dennoch, als Achilles meinen Freund er&#x017F;chla¬<lb/>
gen und meine Heimath verheert hatte, wollte&#x017F;t du mich<lb/>
nie weinen &#x017F;ehen; du ver&#x017F;prach&#x017F;t, mich dem Peliden zu<lb/>
vermählen, &#x017F;obald du mich auf den Schiffen nach Phthia<lb/>
gebracht hätte&#x017F;t, und dort unter den Myrmidonen meine<lb/>
Hochzeit zu feiern. Nie werd' ich aufhören, dich zu be¬<lb/>
weinen, du Freundlicher.&#x201C; So &#x017F;prach &#x017F;ie weinend, und<lb/>
ringsum &#x017F;eufzten mit ihr die gefangenen Weiber, zum<lb/>
Schein um den Patroklus, im Grund aber jede über ihr<lb/>
eigenes Elend.</p><lb/>
          <p>Die edel&#x017F;ten Danaerfür&#x017F;ten umringten inde&#x017F;&#x017F;en den<lb/>
Peliden, indem &#x017F;ie ihn flehentlich baten, &#x017F;ich doch des<lb/>
Mahles zu erfreuen. Doch er weigerte &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en unter<lb/>
Seufzen. &#x201E;Wenn ihr wirklich Liebe zu mir heget,&#x201C; &#x017F;prach<lb/>
er, &#x201E;&#x017F;o verlanget nicht, mir das Herz zu erfri&#x017F;chen, ihr<lb/>
Freunde, mein Kummer duldet es nicht. Laßt mich bleiben,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0277] mir entführt, wenn du nicht den Tod vielen Danaern hätteſt bereiten wollen! Doch nun laßt uns zum Mahle gehen, und uns dann zum Angriffe rüſten.“ Nachdem der Held ſo geſprochen, trennte ſich die Verſammlung. Als die Tochter des Briſes, holdſelig wie Aphrodite, in das Zelt ihres früheren Gebieters trat, und den Helden Patroklus mit ſeinen tiefen Speerwunden auf den Teppichen ausgeſtreckt daliegen ſah, zerſchlug ſie ſich Bruſt und Wangen, und warf ſich weinend über ihn. „Ach mein theurer Patroklus,“ rief ſie, „der du mein lieb¬ reichſter Freund im Elende warſt, blühend verließ ich dich im Zelte, todt finde ich dich wieder! So verfolgt mich immer Unheil auf Unheil. Meinen Bräutigam ſah ich vor unſerer Stadt vom Speer getödtet, drei leibliche herz¬ lich geliebte Brüder riß mir derſelbe Unglückstag von der Seite weg. Dennoch, als Achilles meinen Freund erſchla¬ gen und meine Heimath verheert hatte, wollteſt du mich nie weinen ſehen; du verſprachſt, mich dem Peliden zu vermählen, ſobald du mich auf den Schiffen nach Phthia gebracht hätteſt, und dort unter den Myrmidonen meine Hochzeit zu feiern. Nie werd' ich aufhören, dich zu be¬ weinen, du Freundlicher.“ So ſprach ſie weinend, und ringsum ſeufzten mit ihr die gefangenen Weiber, zum Schein um den Patroklus, im Grund aber jede über ihr eigenes Elend. Die edelſten Danaerfürſten umringten indeſſen den Peliden, indem ſie ihn flehentlich baten, ſich doch des Mahles zu erfreuen. Doch er weigerte ſich deſſen unter Seufzen. „Wenn ihr wirklich Liebe zu mir heget,“ ſprach er, „ſo verlanget nicht, mir das Herz zu erfriſchen, ihr Freunde, mein Kummer duldet es nicht. Laßt mich bleiben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/277
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/277>, abgerufen am 22.11.2024.