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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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gebracht habe; auch will ich dir zwölf der edelsten Söhne
Troja's an deinem Scheiterhaufen opfern. Bis dieß ge¬
schieht, ruhe du hier bei meinen Schiffen, geliebter Freund!"
Hierauf befahl Achilles seinen Freunden, einen großen
Dreifuß voll Wasser an das Feuer zu stellen, und den
Leichnam des gefallenen Helden zu waschen und zu sal¬
ben. Alsdann wurde er auf schöne Betten gelegt, und
köstliche Leinwand vom Haupte bis zu den Füßen über
ihn gebreitet, auch ein schimmernder Teppich über den
Todten geworfen.

Derweil gelangte Thetis an den unvergänglichen,
sternenhellen Pallast des Hephästus, den der hinkende
Künstler sich selbst aus Erze gebaut. Sie fand ihn dort
schwitzend und in voller Arbeit um seine Blasebälge be¬
schäftigt: er bereitete an zwanzig Dreifüße, und befestigte
unter dem Boden eines jeden goldene Räder, mit welchen
sie, ohne von fremder Hand getrieben zu werden, in den
olympischen Sälen vor die Götter hinrollten, und dann
wieder zu ihrem Gemache heimkehrten: wahre Wunder¬
werke anzuschauen; sie waren bis auf die Henkel fertig,
und diese fügte er jetzt eben an, indem er mit dem Ham¬
mer die Nägel am gehörigen Ort einschlug. Seine Gat¬
tin, die holde Charis, eine der Huldgöttinnen, ergriff die
Hand der hereintretenden Göttin, führte sie auf einen
silbernen Sessel, rückte ihr einen Schemel unter die Füße,
und rief ihren Gemahl herbei. Dieser rief, als er die
Meeresgöttin erblickte, freudig aus: "Wohl mir, ist doch
einmal die Edelste der Unsterblichen bei mir im Hause,
die mich, den Neugeborenen, vom Verderben gerettet hat;
denn weil ich lahm auf die Welt kam, warf mich die
Mutter aus dem Schooße, und ich wäre elendiglich

gebracht habe; auch will ich dir zwölf der edelſten Söhne
Troja's an deinem Scheiterhaufen opfern. Bis dieß ge¬
ſchieht, ruhe du hier bei meinen Schiffen, geliebter Freund!“
Hierauf befahl Achilles ſeinen Freunden, einen großen
Dreifuß voll Waſſer an das Feuer zu ſtellen, und den
Leichnam des gefallenen Helden zu waſchen und zu ſal¬
ben. Alsdann wurde er auf ſchöne Betten gelegt, und
köſtliche Leinwand vom Haupte bis zu den Füßen über
ihn gebreitet, auch ein ſchimmernder Teppich über den
Todten geworfen.

Derweil gelangte Thetis an den unvergänglichen,
ſternenhellen Pallaſt des Hephäſtus, den der hinkende
Künſtler ſich ſelbſt aus Erze gebaut. Sie fand ihn dort
ſchwitzend und in voller Arbeit um ſeine Blaſebälge be¬
ſchäftigt: er bereitete an zwanzig Dreifüße, und befeſtigte
unter dem Boden eines jeden goldene Räder, mit welchen
ſie, ohne von fremder Hand getrieben zu werden, in den
olympiſchen Sälen vor die Götter hinrollten, und dann
wieder zu ihrem Gemache heimkehrten: wahre Wunder¬
werke anzuſchauen; ſie waren bis auf die Henkel fertig,
und dieſe fügte er jetzt eben an, indem er mit dem Ham¬
mer die Nägel am gehörigen Ort einſchlug. Seine Gat¬
tin, die holde Charis, eine der Huldgöttinnen, ergriff die
Hand der hereintretenden Göttin, führte ſie auf einen
ſilbernen Seſſel, rückte ihr einen Schemel unter die Füße,
und rief ihren Gemahl herbei. Dieſer rief, als er die
Meeresgöttin erblickte, freudig aus: „Wohl mir, iſt doch
einmal die Edelſte der Unſterblichen bei mir im Hauſe,
die mich, den Neugeborenen, vom Verderben gerettet hat;
denn weil ich lahm auf die Welt kam, warf mich die
Mutter aus dem Schooße, und ich wäre elendiglich

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[247/0269] gebracht habe; auch will ich dir zwölf der edelſten Söhne Troja's an deinem Scheiterhaufen opfern. Bis dieß ge¬ ſchieht, ruhe du hier bei meinen Schiffen, geliebter Freund!“ Hierauf befahl Achilles ſeinen Freunden, einen großen Dreifuß voll Waſſer an das Feuer zu ſtellen, und den Leichnam des gefallenen Helden zu waſchen und zu ſal¬ ben. Alsdann wurde er auf ſchöne Betten gelegt, und köſtliche Leinwand vom Haupte bis zu den Füßen über ihn gebreitet, auch ein ſchimmernder Teppich über den Todten geworfen. Derweil gelangte Thetis an den unvergänglichen, ſternenhellen Pallaſt des Hephäſtus, den der hinkende Künſtler ſich ſelbſt aus Erze gebaut. Sie fand ihn dort ſchwitzend und in voller Arbeit um ſeine Blaſebälge be¬ ſchäftigt: er bereitete an zwanzig Dreifüße, und befeſtigte unter dem Boden eines jeden goldene Räder, mit welchen ſie, ohne von fremder Hand getrieben zu werden, in den olympiſchen Sälen vor die Götter hinrollten, und dann wieder zu ihrem Gemache heimkehrten: wahre Wunder¬ werke anzuſchauen; ſie waren bis auf die Henkel fertig, und dieſe fügte er jetzt eben an, indem er mit dem Ham¬ mer die Nägel am gehörigen Ort einſchlug. Seine Gat¬ tin, die holde Charis, eine der Huldgöttinnen, ergriff die Hand der hereintretenden Göttin, führte ſie auf einen ſilbernen Seſſel, rückte ihr einen Schemel unter die Füße, und rief ihren Gemahl herbei. Dieſer rief, als er die Meeresgöttin erblickte, freudig aus: „Wohl mir, iſt doch einmal die Edelſte der Unſterblichen bei mir im Hauſe, die mich, den Neugeborenen, vom Verderben gerettet hat; denn weil ich lahm auf die Welt kam, warf mich die Mutter aus dem Schooße, und ich wäre elendiglich

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/269>, abgerufen am 22.11.2024.