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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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doch was glücklich hinüberkam, stäubte in der eiligsten
Flucht nach der Stadt zurück, und Patroklus sprengte mit
tönendem Rufe den noch diesseits des Grabens Dahinflie¬
genden nach: viele stürzten kopfüber unter die Räder ihrer
Wagen, und geborstene Sitze krachten. Endlich sprang
das unsterbliche Rossegespann des Peliden auch über den
Graben, und Patroklus trieb sie an, den auf seinem Wa¬
gen dahineilenden Hektor zu erreichen. Dabei mordete er
zwischen Schiffen, Mauer und Strom, was er antraf.
Pronous, Thestor, Eryalus und neun andere Troer waren
auf seinem stürmenden Weg theils dem Speerschwunge,
theils dem Lanzenstiche, theils dem Steinwurfe des Siegers
erlegen. Mit Schmerz und Ingrimm sah dieß der Lycier
Sarpedon, ermahnte scheltend seine Heerschaar und sprang
gerüstet von seinem Wagen zur Erde. Patroklus that ein
Gleiches, und nun stürzten sie schreiend gegeneinander wie
zwei scharfklauige, krummschnäblige Habichte. Mit Er¬
barmen sah Jupiter auf seinen Sohn Sarpedon hernie¬
der vom Olymp; aber Juno schalt ihn und sprach:
"Was denkst du, Gemahl! Einen Sterblichen willst du
schonen, der dem Tode doch schon längst verfallen ist?
Bedenke, wenn alle Götter ihre Söhne aus der Schlacht
entführen wollten, was aus den Geschicken, die du selber
zu vollführen beschlossen hast, alsdann würde. Glaube
mir, es ist besser, du lässest ihn in der Feldschlacht um¬
kommen, übergibst ihn dem Schlaf und dem Tode und
gestattest seinem Volk, ihn aus dem Getümmel zu tragen,
und dereinst in Lycien unter Grabhügel und Säule zu be¬
statten!" Jupiter ließ die Göttin gewähren und nur eine
Thräne fiel aus seinem Götterauge herab auf die Erde,
dem fallenden Sohne geweiht.

doch was glücklich hinüberkam, ſtäubte in der eiligſten
Flucht nach der Stadt zurück, und Patroklus ſprengte mit
tönendem Rufe den noch dieſſeits des Grabens Dahinflie¬
genden nach: viele ſtürzten kopfüber unter die Räder ihrer
Wagen, und geborſtene Sitze krachten. Endlich ſprang
das unſterbliche Roſſegeſpann des Peliden auch über den
Graben, und Patroklus trieb ſie an, den auf ſeinem Wa¬
gen dahineilenden Hektor zu erreichen. Dabei mordete er
zwiſchen Schiffen, Mauer und Strom, was er antraf.
Pronous, Theſtor, Eryalus und neun andere Troer waren
auf ſeinem ſtürmenden Weg theils dem Speerſchwunge,
theils dem Lanzenſtiche, theils dem Steinwurfe des Siegers
erlegen. Mit Schmerz und Ingrimm ſah dieß der Lycier
Sarpedon, ermahnte ſcheltend ſeine Heerſchaar und ſprang
gerüſtet von ſeinem Wagen zur Erde. Patroklus that ein
Gleiches, und nun ſtürzten ſie ſchreiend gegeneinander wie
zwei ſcharfklauige, krummſchnäblige Habichte. Mit Er¬
barmen ſah Jupiter auf ſeinen Sohn Sarpedon hernie¬
der vom Olymp; aber Juno ſchalt ihn und ſprach:
„Was denkſt du, Gemahl! Einen Sterblichen willſt du
ſchonen, der dem Tode doch ſchon längſt verfallen iſt?
Bedenke, wenn alle Götter ihre Söhne aus der Schlacht
entführen wollten, was aus den Geſchicken, die du ſelber
zu vollführen beſchloſſen haſt, alsdann würde. Glaube
mir, es iſt beſſer, du läſſeſt ihn in der Feldſchlacht um¬
kommen, übergibſt ihn dem Schlaf und dem Tode und
geſtatteſt ſeinem Volk, ihn aus dem Getümmel zu tragen,
und dereinſt in Lycien unter Grabhügel und Säule zu be¬
ſtatten!“ Jupiter ließ die Göttin gewähren und nur eine
Thräne fiel aus ſeinem Götterauge herab auf die Erde,
dem fallenden Sohne geweiht.

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[221/0243] doch was glücklich hinüberkam, ſtäubte in der eiligſten Flucht nach der Stadt zurück, und Patroklus ſprengte mit tönendem Rufe den noch dieſſeits des Grabens Dahinflie¬ genden nach: viele ſtürzten kopfüber unter die Räder ihrer Wagen, und geborſtene Sitze krachten. Endlich ſprang das unſterbliche Roſſegeſpann des Peliden auch über den Graben, und Patroklus trieb ſie an, den auf ſeinem Wa¬ gen dahineilenden Hektor zu erreichen. Dabei mordete er zwiſchen Schiffen, Mauer und Strom, was er antraf. Pronous, Theſtor, Eryalus und neun andere Troer waren auf ſeinem ſtürmenden Weg theils dem Speerſchwunge, theils dem Lanzenſtiche, theils dem Steinwurfe des Siegers erlegen. Mit Schmerz und Ingrimm ſah dieß der Lycier Sarpedon, ermahnte ſcheltend ſeine Heerſchaar und ſprang gerüſtet von ſeinem Wagen zur Erde. Patroklus that ein Gleiches, und nun ſtürzten ſie ſchreiend gegeneinander wie zwei ſcharfklauige, krummſchnäblige Habichte. Mit Er¬ barmen ſah Jupiter auf ſeinen Sohn Sarpedon hernie¬ der vom Olymp; aber Juno ſchalt ihn und ſprach: „Was denkſt du, Gemahl! Einen Sterblichen willſt du ſchonen, der dem Tode doch ſchon längſt verfallen iſt? Bedenke, wenn alle Götter ihre Söhne aus der Schlacht entführen wollten, was aus den Geſchicken, die du ſelber zu vollführen beſchloſſen haſt, alsdann würde. Glaube mir, es iſt beſſer, du läſſeſt ihn in der Feldſchlacht um¬ kommen, übergibſt ihn dem Schlaf und dem Tode und geſtatteſt ſeinem Volk, ihn aus dem Getümmel zu tragen, und dereinſt in Lycien unter Grabhügel und Säule zu be¬ ſtatten!“ Jupiter ließ die Göttin gewähren und nur eine Thräne fiel aus ſeinem Götterauge herab auf die Erde, dem fallenden Sohne geweiht.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/243>, abgerufen am 26.04.2024.