heile, zur Schlacht aufmuntere und mit neuer Kraft be¬ seele!" Mit erschrockenem Antlitze gehorchte Juno, und trat in den olympischen Saal ein, wo die Unsterblichen zechten. Diese sprangen ehrerbietig von den Sitzen em¬ por und streckten ihr die Becher entgegen. Sie aber ergriff den Becher der Themis, schlürfte vom Nektar, und mel¬ dete Jupiters Machtgebot. Windschnell fuhr Iris hinab auf das Schlachtfeld. Als Poseidon den Befehl seines Bruders aus ihrem Munde vernahm, sprach er zuerst un¬ muthsvoll: "Traun, das ist nicht brüderlich gesprochen! Auch soll er nicht mit Gewalt meinen Willen hemmen, denn ich bin, was er ist; hat gleich das Loos um die Herrschaft mir nur das graue Meer zugetheilt, dem Pluto die Hölle, und ihm den Himmel. Die Erde wie der Olymp ist uns Allen gemein!" -- "Soll ich diese trotzige Rede, so wie du sie gesprochen, dem Göttervater über¬ bringen?" fragte Iris zögernd. Da besann sich der Gott, und das Heer der Danaer verlassend, rief er: "Nun wohl, ich gehe! Das aber wisse Jupiter, trennt er sich von mir und den andern olympischen Freunden der Grie¬ chen, und beschließt Troja's Vertilgung nicht, so entflammt uns unheilbarer Zorn!" So sprach er, in die Fluthen tauchend; und augenblicks vermißten die Danaer seine Gegenwart.
Seinen Sohn Phöbus Apollo sandte dagegen Jupiter zu Hektor vom Olymp hinab. Dieser fand ihn nicht mehr lie¬ gend auf dem Boden, sondern schon wieder aufgerichtet, und von Zeus gestärkt. Der Angstschweiß hatte nachgelassen, der Athem war leichter, ihn erfrischte wiederkehrendes Leben. Als Apollo sich ihm mitleidig näherte, blickte er traurig auf und sprach: "Wer bist du, Bester der Himmlischen,
heile, zur Schlacht aufmuntere und mit neuer Kraft be¬ ſeele!“ Mit erſchrockenem Antlitze gehorchte Juno, und trat in den olympiſchen Saal ein, wo die Unſterblichen zechten. Dieſe ſprangen ehrerbietig von den Sitzen em¬ por und ſtreckten ihr die Becher entgegen. Sie aber ergriff den Becher der Themis, ſchlürfte vom Nektar, und mel¬ dete Jupiters Machtgebot. Windſchnell fuhr Iris hinab auf das Schlachtfeld. Als Poſeidon den Befehl ſeines Bruders aus ihrem Munde vernahm, ſprach er zuerſt un¬ muthsvoll: „Traun, das iſt nicht brüderlich geſprochen! Auch ſoll er nicht mit Gewalt meinen Willen hemmen, denn ich bin, was er iſt; hat gleich das Loos um die Herrſchaft mir nur das graue Meer zugetheilt, dem Pluto die Hölle, und ihm den Himmel. Die Erde wie der Olymp iſt uns Allen gemein!“ — „Soll ich dieſe trotzige Rede, ſo wie du ſie geſprochen, dem Göttervater über¬ bringen?“ fragte Iris zögernd. Da beſann ſich der Gott, und das Heer der Danaer verlaſſend, rief er: „Nun wohl, ich gehe! Das aber wiſſe Jupiter, trennt er ſich von mir und den andern olympiſchen Freunden der Grie¬ chen, und beſchließt Troja's Vertilgung nicht, ſo entflammt uns unheilbarer Zorn!“ So ſprach er, in die Fluthen tauchend; und augenblicks vermißten die Danaer ſeine Gegenwart.
Seinen Sohn Phöbus Apollo ſandte dagegen Jupiter zu Hektor vom Olymp hinab. Dieſer fand ihn nicht mehr lie¬ gend auf dem Boden, ſondern ſchon wieder aufgerichtet, und von Zeus geſtärkt. Der Angſtſchweiß hatte nachgelaſſen, der Athem war leichter, ihn erfriſchte wiederkehrendes Leben. Als Apollo ſich ihm mitleidig näherte, blickte er traurig auf und ſprach: „Wer biſt du, Beſter der Himmliſchen,
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heile, zur Schlacht aufmuntere und mit neuer Kraft be¬
ſeele!“ Mit erſchrockenem Antlitze gehorchte Juno, und
trat in den olympiſchen Saal ein, wo die Unſterblichen
zechten. Dieſe ſprangen ehrerbietig von den Sitzen em¬
por und ſtreckten ihr die Becher entgegen. Sie aber ergriff
den Becher der Themis, ſchlürfte vom Nektar, und mel¬
dete Jupiters Machtgebot. Windſchnell fuhr Iris hinab
auf das Schlachtfeld. Als Poſeidon den Befehl ſeines
Bruders aus ihrem Munde vernahm, ſprach er zuerſt un¬
muthsvoll: „Traun, das iſt nicht brüderlich geſprochen!
Auch ſoll er nicht mit Gewalt meinen Willen hemmen,
denn ich bin, was er iſt; hat gleich das Loos um die
Herrſchaft mir nur das graue Meer zugetheilt, dem Pluto
die Hölle, und ihm den Himmel. Die Erde wie der
Olymp iſt uns Allen gemein!“ — „Soll ich dieſe trotzige
Rede, ſo wie du ſie geſprochen, dem Göttervater über¬
bringen?“ fragte Iris zögernd. Da beſann ſich der Gott,
und das Heer der Danaer verlaſſend, rief er: „Nun
wohl, ich gehe! Das aber wiſſe Jupiter, trennt er ſich
von mir und den andern olympiſchen Freunden der Grie¬
chen, und beſchließt Troja's Vertilgung nicht, ſo entflammt
uns unheilbarer Zorn!“ So ſprach er, in die Fluthen
tauchend; und augenblicks vermißten die Danaer ſeine
Gegenwart.
Seinen Sohn Phöbus Apollo ſandte dagegen Jupiter
zu Hektor vom Olymp hinab. Dieſer fand ihn nicht mehr lie¬
gend auf dem Boden, ſondern ſchon wieder aufgerichtet, und
von Zeus geſtärkt. Der Angſtſchweiß hatte nachgelaſſen,
der Athem war leichter, ihn erfriſchte wiederkehrendes Leben.
Als Apollo ſich ihm mitleidig näherte, blickte er traurig
auf und ſprach: „Wer biſt du, Beſter der Himmliſchen,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/228>, abgerufen am 29.11.2024.
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