sie von seinem Stoß zusammenstürzte, und die Mauer, entblößt, für Viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen; Ajax durchstach dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen Augenblick zückte Sarpedon von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich bald wieder, und, gegen die Schaar seiner Lycier sich umdrehend, rief er laut: "Lycier, vergesset ihr des Sturmes? mir allein, und wäre ich der Tapferste, ist es unmöglich, durchzu¬ brechen! Nur wenn wir zusammenhalten, können wir uns die Bahn zu den Schiffen öffnen!" Die Lycier dräng¬ ten sich um ihren scheltenden König und stürmten rascher empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren Widerstand, und so standen sie, nur durch die Brustwehr getrennt, und über sie hin wild auf einander los hauend, wie zwei Bauern auf der Grenzscheide stehen und mitein¬ ander darum hadern. Rechts und links von den Thürmen und der Brustwehr rieselte das Blut hinab. Lange stand die Waage der Schlacht schwebend, bis endlich Jupiter dem Hektor die Oberhand gab, daß er zuerst an das Thor der Mauer vordrang und die Genossen theils ihm folgten, theils zu seinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten. Am verschlossenen Thore, dessen Doppelflügel zwei sich begegnende Riegel von innen zusammenhielten, stand ein dicker, oben zugespitzter Feldstein. Diesen riß Hektor mit übermenschlicher Gewalt aus dem Boden, und zerschmet¬ terte damit die Angeln und die Bohlen, daß die mächti¬ gen Riegel nicht mehr Stand hielten, das Thor dumpf aufkrachte, und der Stein schwer hineinfiel. Furchtbar anzuschauen wie die Wetternacht, im schrecklichen Glanze
ſie von ſeinem Stoß zuſammenſtürzte, und die Mauer, entblößt, für Viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen; Ajax durchſtach dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn ſchmetternd, und einen Augenblick zückte Sarpedon von der Bruſtwehr hinweg. Doch ermannte er ſich bald wieder, und, gegen die Schaar ſeiner Lycier ſich umdrehend, rief er laut: „Lycier, vergeſſet ihr des Sturmes? mir allein, und wäre ich der Tapferſte, iſt es unmöglich, durchzu¬ brechen! Nur wenn wir zuſammenhalten, können wir uns die Bahn zu den Schiffen öffnen!“ Die Lycier dräng¬ ten ſich um ihren ſcheltenden König und ſtürmten raſcher empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren Widerſtand, und ſo ſtanden ſie, nur durch die Bruſtwehr getrennt, und über ſie hin wild auf einander los hauend, wie zwei Bauern auf der Grenzſcheide ſtehen und mitein¬ ander darum hadern. Rechts und links von den Thürmen und der Bruſtwehr rieſelte das Blut hinab. Lange ſtand die Waage der Schlacht ſchwebend, bis endlich Jupiter dem Hektor die Oberhand gab, daß er zuerſt an das Thor der Mauer vordrang und die Genoſſen theils ihm folgten, theils zu ſeinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten. Am verſchloſſenen Thore, deſſen Doppelflügel zwei ſich begegnende Riegel von innen zuſammenhielten, ſtand ein dicker, oben zugeſpitzter Feldſtein. Dieſen riß Hektor mit übermenſchlicher Gewalt aus dem Boden, und zerſchmet¬ terte damit die Angeln und die Bohlen, daß die mächti¬ gen Riegel nicht mehr Stand hielten, das Thor dumpf aufkrachte, und der Stein ſchwer hineinfiel. Furchtbar anzuſchauen wie die Wetternacht, im ſchrecklichen Glanze
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ſie von ſeinem Stoß zuſammenſtürzte, und die Mauer,
entblößt, für Viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax
und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf
ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen; Ajax durchſtach
dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn
ſchmetternd, und einen Augenblick zückte Sarpedon von der
Bruſtwehr hinweg. Doch ermannte er ſich bald wieder,
und, gegen die Schaar ſeiner Lycier ſich umdrehend, rief
er laut: „Lycier, vergeſſet ihr des Sturmes? mir allein,
und wäre ich der Tapferſte, iſt es unmöglich, durchzu¬
brechen! Nur wenn wir zuſammenhalten, können wir
uns die Bahn zu den Schiffen öffnen!“ Die Lycier dräng¬
ten ſich um ihren ſcheltenden König und ſtürmten raſcher
empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren
Widerſtand, und ſo ſtanden ſie, nur durch die Bruſtwehr
getrennt, und über ſie hin wild auf einander los hauend,
wie zwei Bauern auf der Grenzſcheide ſtehen und mitein¬
ander darum hadern. Rechts und links von den Thürmen
und der Bruſtwehr rieſelte das Blut hinab. Lange ſtand
die Waage der Schlacht ſchwebend, bis endlich Jupiter dem
Hektor die Oberhand gab, daß er zuerſt an das Thor
der Mauer vordrang und die Genoſſen theils ihm folgten,
theils zu ſeinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten.
Am verſchloſſenen Thore, deſſen Doppelflügel zwei ſich
begegnende Riegel von innen zuſammenhielten, ſtand ein
dicker, oben zugeſpitzter Feldſtein. Dieſen riß Hektor mit
übermenſchlicher Gewalt aus dem Boden, und zerſchmet¬
terte damit die Angeln und die Bohlen, daß die mächti¬
gen Riegel nicht mehr Stand hielten, das Thor dumpf
aufkrachte, und der Stein ſchwer hineinfiel. Furchtbar
anzuſchauen wie die Wetternacht, im ſchrecklichen Glanze
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/209>, abgerufen am 28.11.2024.
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