Waffen in den Staub gesunken. Da kam ein Sechster heran, Sokus, dem er eben den Bruder erstochen, und rief: "Odysseus, heute trägst du entweder den Ruhm davon, daß du beide Söhne des Hippasus, herrliche Män¬ ner, zu Boden gestreckt und ihre Waffen erbeutet hast, oder aber du verhauchst unter meiner Lanze das Leben!" Und nun durchschmetterte er ihm den Schild und riß ihm die Haut von den Rippen; tiefer ließ Athene den Stoß nicht eindringen. Odysseus, der sich nicht zum Tode ge¬ troffen fühlte, wich nur ein Weniges zurück, stürzte dann auf den Gegner los, der sich zur Flucht wendete, und durchbohrte ihm den Rücken zwischen den Schultern, daß der Speer aus dem Busen vordrang und er in dumpfem Falle hinkrachte. Dann erst zog sich Odysseus die Lanze des Feindes aus der Wunde. Als nun die Trojaner sein Blut springen sahen, drängten sich erst recht Alle auf ihn zu, daß er zurückwich und dreimal einen lauten Hülferuf ausstieß.
Menelaus vernahm das Geschrei zuerst, und rief sei¬ nem Nebenmanne Ajax zu: "Laß uns durchdringen durch das Getümmel, ich habe den Schrei des Odysseus gehört!" Beide hatten in Kurzem den duldenden Kämpfer erreicht und trafen ihn, gegen unzählige Feinde seine Lanze schwin¬ gend. Als aber der Schild des Ajax wie eine gethürmte Mauer dem Streitenden vorgehalten ward, erzitterten die Trojaner. Da benutzte Menelaus den Augenblick, ergriff den Sohn des Laertes bei der Hand, und half ihm auf seinen eigenen Streitwagen. Ajax aber sprang jetzt auf die Trojaner hinein und wälzte Leichen vor sich her, wie ein Bergstrom im Herbste dorrende Kiefern und Eichen. Davon hatte Hektor keine Ahnung; er kämpfte auf der
Waffen in den Staub geſunken. Da kam ein Sechſter heran, Sokus, dem er eben den Bruder erſtochen, und rief: „Odyſſeus, heute trägſt du entweder den Ruhm davon, daß du beide Söhne des Hippaſus, herrliche Män¬ ner, zu Boden geſtreckt und ihre Waffen erbeutet haſt, oder aber du verhauchſt unter meiner Lanze das Leben!“ Und nun durchſchmetterte er ihm den Schild und riß ihm die Haut von den Rippen; tiefer ließ Athene den Stoß nicht eindringen. Odyſſeus, der ſich nicht zum Tode ge¬ troffen fühlte, wich nur ein Weniges zurück, ſtürzte dann auf den Gegner los, der ſich zur Flucht wendete, und durchbohrte ihm den Rücken zwiſchen den Schultern, daß der Speer aus dem Buſen vordrang und er in dumpfem Falle hinkrachte. Dann erſt zog ſich Odyſſeus die Lanze des Feindes aus der Wunde. Als nun die Trojaner ſein Blut ſpringen ſahen, drängten ſich erſt recht Alle auf ihn zu, daß er zurückwich und dreimal einen lauten Hülferuf ausſtieß.
Menelaus vernahm das Geſchrei zuerſt, und rief ſei¬ nem Nebenmanne Ajax zu: „Laß uns durchdringen durch das Getümmel, ich habe den Schrei des Odyſſeus gehört!“ Beide hatten in Kurzem den duldenden Kämpfer erreicht und trafen ihn, gegen unzählige Feinde ſeine Lanze ſchwin¬ gend. Als aber der Schild des Ajax wie eine gethürmte Mauer dem Streitenden vorgehalten ward, erzitterten die Trojaner. Da benutzte Menelaus den Augenblick, ergriff den Sohn des Laertes bei der Hand, und half ihm auf ſeinen eigenen Streitwagen. Ajax aber ſprang jetzt auf die Trojaner hinein und wälzte Leichen vor ſich her, wie ein Bergſtrom im Herbſte dorrende Kiefern und Eichen. Davon hatte Hektor keine Ahnung; er kämpfte auf der
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Waffen in den Staub geſunken. Da kam ein Sechſter
heran, Sokus, dem er eben den Bruder erſtochen, und
rief: „Odyſſeus, heute trägſt du entweder den Ruhm
davon, daß du beide Söhne des Hippaſus, herrliche Män¬
ner, zu Boden geſtreckt und ihre Waffen erbeutet haſt,
oder aber du verhauchſt unter meiner Lanze das Leben!“
Und nun durchſchmetterte er ihm den Schild und riß ihm
die Haut von den Rippen; tiefer ließ Athene den Stoß
nicht eindringen. Odyſſeus, der ſich nicht zum Tode ge¬
troffen fühlte, wich nur ein Weniges zurück, ſtürzte dann
auf den Gegner los, der ſich zur Flucht wendete, und
durchbohrte ihm den Rücken zwiſchen den Schultern, daß
der Speer aus dem Buſen vordrang und er in dumpfem
Falle hinkrachte. Dann erſt zog ſich Odyſſeus die Lanze
des Feindes aus der Wunde. Als nun die Trojaner ſein
Blut ſpringen ſahen, drängten ſich erſt recht Alle auf ihn
zu, daß er zurückwich und dreimal einen lauten Hülferuf
ausſtieß.
Menelaus vernahm das Geſchrei zuerſt, und rief ſei¬
nem Nebenmanne Ajax zu: „Laß uns durchdringen durch
das Getümmel, ich habe den Schrei des Odyſſeus gehört!“
Beide hatten in Kurzem den duldenden Kämpfer erreicht
und trafen ihn, gegen unzählige Feinde ſeine Lanze ſchwin¬
gend. Als aber der Schild des Ajax wie eine gethürmte
Mauer dem Streitenden vorgehalten ward, erzitterten die
Trojaner. Da benutzte Menelaus den Augenblick, ergriff
den Sohn des Laertes bei der Hand, und half ihm auf
ſeinen eigenen Streitwagen. Ajax aber ſprang jetzt auf
die Trojaner hinein und wälzte Leichen vor ſich her, wie
ein Bergſtrom im Herbſte dorrende Kiefern und Eichen.
Davon hatte Hektor keine Ahnung; er kämpfte auf der
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/200>, abgerufen am 27.11.2024.
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