Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Freunde, seyd Männer und sinnet auf Abwehr! Der
tapferste Mann Griechenlands ist ferne, und Jupiter ver¬
leiht mir Siegsruhm. Auf, mitten unter die Helden der
Danaer hinein mit den Rossen, damit wir um so höheren
Ruhm gewinnen!" So rief Hektor, und stürzte sich wie
ein Sturmwind zuerst in die Schlacht. Und in kurzer
Zeit waren neun Fürsten der Griechen, dazu viel gemei¬
nes Volk, unter seinen Händen erlegen. Schon war er
nahe daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe
zu drängen; da ermahnte Odysseus den Tydiden: "Ist
es möglich, daß wir der Abwehr so ganz vergessen?
Tritt doch näher, Freund, und stelle dich neben mich, laß
uns die Schande nicht erleben, daß Hektor unser Schiffs¬
lager erobere!" Diomedes nickte ihm zu und durch¬
schmetterte die Brust des Trojaners Thymbräus mit dem
Wurfspieß auf der linken Seite, daß er vom Wagen auf
die Erde herabfiel; unter Odysseus sank Molion zu Boden,
der Wagengenosse desselben. Weiter noch durchtobten die
vorwärts Gewendeten den Feind, und die Griechen fingen
an, wieder aufzuathmen. Jupiter, der noch immer vom
Ida herabschaute, ließ die Schlacht im Gleichgewichte
schweben. Endlich erkannte Hektor durch die Schlachtreihen
hindurch die zwei rasenden Helden, und stürmte mit seinen
Heerschaaren auf sie daher. Noch zur rechten Zeit sah
sich Diomedes vor und schleuderte ihm die Lanze an die
Helmkuppel. Zwar prallte sie ab, doch flog Hektor zurück
in die Schaaren aufs Knie, seine Rechte stemmte sich
gegen die Erde und vor seinen Blicken ward es Nacht.
Bis jedoch der Tydide dem Schwung seines Speeres selbst
nachgeeilt kam, hatte sich der Trojaner in den Wagensitz
geschwungen und rettete sich vor dem Tod ins Gedränge

Freunde, ſeyd Männer und ſinnet auf Abwehr! Der
tapferſte Mann Griechenlands iſt ferne, und Jupiter ver¬
leiht mir Siegsruhm. Auf, mitten unter die Helden der
Danaer hinein mit den Roſſen, damit wir um ſo höheren
Ruhm gewinnen!“ So rief Hektor, und ſtürzte ſich wie
ein Sturmwind zuerſt in die Schlacht. Und in kurzer
Zeit waren neun Fürſten der Griechen, dazu viel gemei¬
nes Volk, unter ſeinen Händen erlegen. Schon war er
nahe daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe
zu drängen; da ermahnte Odyſſeus den Tydiden: „Iſt
es möglich, daß wir der Abwehr ſo ganz vergeſſen?
Tritt doch näher, Freund, und ſtelle dich neben mich, laß
uns die Schande nicht erleben, daß Hektor unſer Schiffs¬
lager erobere!“ Diomedes nickte ihm zu und durch¬
ſchmetterte die Bruſt des Trojaners Thymbräus mit dem
Wurfſpieß auf der linken Seite, daß er vom Wagen auf
die Erde herabfiel; unter Odyſſeus ſank Molion zu Boden,
der Wagengenoſſe deſſelben. Weiter noch durchtobten die
vorwärts Gewendeten den Feind, und die Griechen fingen
an, wieder aufzuathmen. Jupiter, der noch immer vom
Ida herabſchaute, ließ die Schlacht im Gleichgewichte
ſchweben. Endlich erkannte Hektor durch die Schlachtreihen
hindurch die zwei raſenden Helden, und ſtürmte mit ſeinen
Heerſchaaren auf ſie daher. Noch zur rechten Zeit ſah
ſich Diomedes vor und ſchleuderte ihm die Lanze an die
Helmkuppel. Zwar prallte ſie ab, doch flog Hektor zurück
in die Schaaren aufs Knie, ſeine Rechte ſtemmte ſich
gegen die Erde und vor ſeinen Blicken ward es Nacht.
Bis jedoch der Tydide dem Schwung ſeines Speeres ſelbſt
nachgeeilt kam, hatte ſich der Trojaner in den Wagenſitz
geſchwungen und rettete ſich vor dem Tod ins Gedränge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="176"/>
Freunde, &#x017F;eyd Männer und &#x017F;innet auf Abwehr! Der<lb/>
tapfer&#x017F;te Mann Griechenlands i&#x017F;t ferne, und Jupiter ver¬<lb/>
leiht mir Siegsruhm. Auf, mitten unter die Helden der<lb/>
Danaer hinein mit den Ro&#x017F;&#x017F;en, damit wir um &#x017F;o höheren<lb/>
Ruhm gewinnen!&#x201C; So rief Hektor, und &#x017F;türzte &#x017F;ich wie<lb/>
ein Sturmwind zuer&#x017F;t in die Schlacht. Und in kurzer<lb/>
Zeit waren neun Für&#x017F;ten der Griechen, dazu viel gemei¬<lb/>
nes Volk, unter &#x017F;einen Händen erlegen. Schon war er<lb/>
nahe daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe<lb/>
zu drängen; da ermahnte Ody&#x017F;&#x017F;eus den Tydiden: &#x201E;I&#x017F;t<lb/>
es möglich, daß wir der Abwehr &#x017F;o ganz verge&#x017F;&#x017F;en?<lb/>
Tritt doch näher, Freund, und &#x017F;telle dich neben mich, laß<lb/>
uns die Schande nicht erleben, daß Hektor un&#x017F;er Schiffs¬<lb/>
lager erobere!&#x201C; Diomedes nickte ihm zu und durch¬<lb/>
&#x017F;chmetterte die Bru&#x017F;t des Trojaners Thymbräus mit dem<lb/>
Wurf&#x017F;pieß auf der linken Seite, daß er vom Wagen auf<lb/>
die Erde herabfiel; unter Ody&#x017F;&#x017F;eus &#x017F;ank Molion zu Boden,<lb/>
der Wagengeno&#x017F;&#x017F;e de&#x017F;&#x017F;elben. Weiter noch durchtobten die<lb/>
vorwärts Gewendeten den Feind, und die Griechen fingen<lb/>
an, wieder aufzuathmen. Jupiter, der noch immer vom<lb/>
Ida herab&#x017F;chaute, ließ die Schlacht im Gleichgewichte<lb/>
&#x017F;chweben. Endlich erkannte Hektor durch die Schlachtreihen<lb/>
hindurch die zwei ra&#x017F;enden Helden, und &#x017F;türmte mit &#x017F;einen<lb/>
Heer&#x017F;chaaren auf &#x017F;ie daher. Noch zur rechten Zeit &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ich Diomedes vor und &#x017F;chleuderte ihm die Lanze an die<lb/>
Helmkuppel. Zwar prallte &#x017F;ie ab, doch flog Hektor zurück<lb/>
in die Schaaren aufs Knie, &#x017F;eine Rechte &#x017F;temmte &#x017F;ich<lb/>
gegen die Erde und vor &#x017F;einen Blicken ward es Nacht.<lb/>
Bis jedoch der Tydide dem Schwung &#x017F;eines Speeres &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nachgeeilt kam, hatte &#x017F;ich der Trojaner in den Wagen&#x017F;itz<lb/>
ge&#x017F;chwungen und rettete &#x017F;ich vor dem Tod ins Gedränge<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0198] Freunde, ſeyd Männer und ſinnet auf Abwehr! Der tapferſte Mann Griechenlands iſt ferne, und Jupiter ver¬ leiht mir Siegsruhm. Auf, mitten unter die Helden der Danaer hinein mit den Roſſen, damit wir um ſo höheren Ruhm gewinnen!“ So rief Hektor, und ſtürzte ſich wie ein Sturmwind zuerſt in die Schlacht. Und in kurzer Zeit waren neun Fürſten der Griechen, dazu viel gemei¬ nes Volk, unter ſeinen Händen erlegen. Schon war er nahe daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe zu drängen; da ermahnte Odyſſeus den Tydiden: „Iſt es möglich, daß wir der Abwehr ſo ganz vergeſſen? Tritt doch näher, Freund, und ſtelle dich neben mich, laß uns die Schande nicht erleben, daß Hektor unſer Schiffs¬ lager erobere!“ Diomedes nickte ihm zu und durch¬ ſchmetterte die Bruſt des Trojaners Thymbräus mit dem Wurfſpieß auf der linken Seite, daß er vom Wagen auf die Erde herabfiel; unter Odyſſeus ſank Molion zu Boden, der Wagengenoſſe deſſelben. Weiter noch durchtobten die vorwärts Gewendeten den Feind, und die Griechen fingen an, wieder aufzuathmen. Jupiter, der noch immer vom Ida herabſchaute, ließ die Schlacht im Gleichgewichte ſchweben. Endlich erkannte Hektor durch die Schlachtreihen hindurch die zwei raſenden Helden, und ſtürmte mit ſeinen Heerſchaaren auf ſie daher. Noch zur rechten Zeit ſah ſich Diomedes vor und ſchleuderte ihm die Lanze an die Helmkuppel. Zwar prallte ſie ab, doch flog Hektor zurück in die Schaaren aufs Knie, ſeine Rechte ſtemmte ſich gegen die Erde und vor ſeinen Blicken ward es Nacht. Bis jedoch der Tydide dem Schwung ſeines Speeres ſelbſt nachgeeilt kam, hatte ſich der Trojaner in den Wagenſitz geſchwungen und rettete ſich vor dem Tod ins Gedränge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/198
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/198>, abgerufen am 23.04.2024.