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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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schauend, spricht: das war Hektors Weib! Decke mich der
Grabhügel, eh ich von deinem Geschrei und deiner Ent¬
führung hören muß!" So sprach er und streckte die Arme
nach seinem Knäbchen aus; aber das Kind schmiegte sich
schreiend an den Busen der Amme, von der Zärtlichkeit
des Vaters erschreckt, und vor dem ehernen Helm und
dem fürchterlich flatternden Roßschweif erbangend. Der
Vater schaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd
an, nahm sich schnell den schimmernden Helm vom Haupte,
legte ihn zu Boden, küßte sein geliebtes Kind und wiegte
es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel empor:
"Zeus und ihr Götter! laßt dieß mein Knäblein werden
wie mich selbst, voranstrebend dem Volk der Trojaner;
laßt es mächtig werden in Troja und die Stadt beherr¬
schen, und dereinst sage man, wenn es beutebeladen aus
dem Streite heimkehrt: der ist noch weit tapferer, als sein
Vater, und darüber soll sich seine Mutter herzlich freuen!"
Mit diesen Worten gab er den Sohn der Gattin in den
Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an den Busen
drückte. Hektor aber streichelte sie, inniger Wehmuth voll,
mit der Hand, und sagte: "Armes Weib, traure mir nicht
zu sehr im Herzen, gegen das Geschick wird mich Niemand
tödten, dem Verhängniß aber ist noch kein Sterblicher
entronnen. Auf, geh du zur Spindel und zum Webestuhl
und befiehl deinen Weibern! den Männern Troja's liegt
die Sorge für den Krieg ob, am meisten aber mir!" Als
er dieß gesagt, setzte sich Hektor den Helm auf und ging
davon. Auch Andromache schritt dem Hause zu, indem sie
wiederholt rückwärts blickte und herzliche Thränen weinte.
Als die Mägde in der Kammer sie erblickten, theilte sich

ſchauend, ſpricht: das war Hektors Weib! Decke mich der
Grabhügel, eh ich von deinem Geſchrei und deiner Ent¬
führung hören muß!“ So ſprach er und ſtreckte die Arme
nach ſeinem Knäbchen aus; aber das Kind ſchmiegte ſich
ſchreiend an den Buſen der Amme, von der Zärtlichkeit
des Vaters erſchreckt, und vor dem ehernen Helm und
dem fürchterlich flatternden Roßſchweif erbangend. Der
Vater ſchaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd
an, nahm ſich ſchnell den ſchimmernden Helm vom Haupte,
legte ihn zu Boden, küßte ſein geliebtes Kind und wiegte
es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel empor:
„Zeus und ihr Götter! laßt dieß mein Knäblein werden
wie mich ſelbſt, voranſtrebend dem Volk der Trojaner;
laßt es mächtig werden in Troja und die Stadt beherr¬
ſchen, und dereinſt ſage man, wenn es beutebeladen aus
dem Streite heimkehrt: der iſt noch weit tapferer, als ſein
Vater, und darüber ſoll ſich ſeine Mutter herzlich freuen!“
Mit dieſen Worten gab er den Sohn der Gattin in den
Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an den Buſen
drückte. Hektor aber ſtreichelte ſie, inniger Wehmuth voll,
mit der Hand, und ſagte: „Armes Weib, traure mir nicht
zu ſehr im Herzen, gegen das Geſchick wird mich Niemand
tödten, dem Verhängniß aber iſt noch kein Sterblicher
entronnen. Auf, geh du zur Spindel und zum Webeſtuhl
und befiehl deinen Weibern! den Männern Troja's liegt
die Sorge für den Krieg ob, am meiſten aber mir!“ Als
er dieß geſagt, ſetzte ſich Hektor den Helm auf und ging
davon. Auch Andromache ſchritt dem Hauſe zu, indem ſie
wiederholt rückwärts blickte und herzliche Thränen weinte.
Als die Mägde in der Kammer ſie erblickten, theilte ſich

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[142/0164] ſchauend, ſpricht: das war Hektors Weib! Decke mich der Grabhügel, eh ich von deinem Geſchrei und deiner Ent¬ führung hören muß!“ So ſprach er und ſtreckte die Arme nach ſeinem Knäbchen aus; aber das Kind ſchmiegte ſich ſchreiend an den Buſen der Amme, von der Zärtlichkeit des Vaters erſchreckt, und vor dem ehernen Helm und dem fürchterlich flatternden Roßſchweif erbangend. Der Vater ſchaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd an, nahm ſich ſchnell den ſchimmernden Helm vom Haupte, legte ihn zu Boden, küßte ſein geliebtes Kind und wiegte es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel empor: „Zeus und ihr Götter! laßt dieß mein Knäblein werden wie mich ſelbſt, voranſtrebend dem Volk der Trojaner; laßt es mächtig werden in Troja und die Stadt beherr¬ ſchen, und dereinſt ſage man, wenn es beutebeladen aus dem Streite heimkehrt: der iſt noch weit tapferer, als ſein Vater, und darüber ſoll ſich ſeine Mutter herzlich freuen!“ Mit dieſen Worten gab er den Sohn der Gattin in den Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an den Buſen drückte. Hektor aber ſtreichelte ſie, inniger Wehmuth voll, mit der Hand, und ſagte: „Armes Weib, traure mir nicht zu ſehr im Herzen, gegen das Geſchick wird mich Niemand tödten, dem Verhängniß aber iſt noch kein Sterblicher entronnen. Auf, geh du zur Spindel und zum Webeſtuhl und befiehl deinen Weibern! den Männern Troja's liegt die Sorge für den Krieg ob, am meiſten aber mir!“ Als er dieß geſagt, ſetzte ſich Hektor den Helm auf und ging davon. Auch Andromache ſchritt dem Hauſe zu, indem ſie wiederholt rückwärts blickte und herzliche Thränen weinte. Als die Mägde in der Kammer ſie erblickten, theilte ſich

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/164>, abgerufen am 29.03.2024.