zu Argos bis ins Alter hinter dem Webstuhl sitzen! Geh, reize mich nicht, mache, daß du gesund in deine Heimath kommst!"
Chryses erschrack und gehorchte. Schweigend eilte er an den Meeresstrand; dort aber erhob er seine Hände zu dem Gotte, dem er diente, und flehte ihn an: "Höre mich, Sminthier, der du zu Chrysa, Cilla und Tenedos herrschest! Wenn ich je dir deinen Tempel zum Wohl¬ gefallen geschmückt, und dir auserlesene Opfer dargebracht habe, so vergilt jetzt den Achivern mit dem Geschosse!"
So betete er laut: und Apollo erhörte seine Bitte. Zorn im Herzen verließ er den Olymp, Bogen und Köcher mit den hallenden Pfeilen auf der Schulter; so wandelte er einher wie die düstere Nacht, dann setzte er sich in einiger Entfernung von den griechischen Schiffen nieder und schnellte Pfeil um Pfeil ab, daß sein silberner Bogen grauenvoll erklang. Wen aber sein unsichtbarer Pfeil traf, der starb den plötzlichen Tod der Pest. An¬ fangs nun erlegte er im Lager nur Maulthiere und Hunde, bald aber wandte er sein Geschoß auch gegen die Men¬ schen, daß einer um den andern dahinsank und bald die Todtenfeuer unaufhörlich aus den Scheiterhaufen loderten. Neun Tage lang wüthete die Pest im griechischen Heere. Am zehnten Tage berief Achilles, dem die Beschirmerin der Griechen, Juno, es ins Herz gelegt, eine Volksver¬ sammlung, nahm das Wort, und rieth, einen der Opfer¬ priester, Seher oder Traumdeuter im Heere zu befragen, durch welche Opfer der Eifer Phöbus Apollo's besänftigt und das Unheil abgewendet werden könne.
Hierauf stand der weiseste Vogelschauer im Heere, der Seher Kalchas auf, und erklärte, den Zorn des
zu Argos bis ins Alter hinter dem Webſtuhl ſitzen! Geh, reize mich nicht, mache, daß du geſund in deine Heimath kommſt!“
Chryſes erſchrack und gehorchte. Schweigend eilte er an den Meeresſtrand; dort aber erhob er ſeine Hände zu dem Gotte, dem er diente, und flehte ihn an: „Höre mich, Sminthier, der du zu Chryſa, Cilla und Tenedos herrſcheſt! Wenn ich je dir deinen Tempel zum Wohl¬ gefallen geſchmückt, und dir auserleſene Opfer dargebracht habe, ſo vergilt jetzt den Achivern mit dem Geſchoſſe!“
So betete er laut: und Apollo erhörte ſeine Bitte. Zorn im Herzen verließ er den Olymp, Bogen und Köcher mit den hallenden Pfeilen auf der Schulter; ſo wandelte er einher wie die düſtere Nacht, dann ſetzte er ſich in einiger Entfernung von den griechiſchen Schiffen nieder und ſchnellte Pfeil um Pfeil ab, daß ſein ſilberner Bogen grauenvoll erklang. Wen aber ſein unſichtbarer Pfeil traf, der ſtarb den plötzlichen Tod der Peſt. An¬ fangs nun erlegte er im Lager nur Maulthiere und Hunde, bald aber wandte er ſein Geſchoß auch gegen die Men¬ ſchen, daß einer um den andern dahinſank und bald die Todtenfeuer unaufhörlich aus den Scheiterhaufen loderten. Neun Tage lang wüthete die Peſt im griechiſchen Heere. Am zehnten Tage berief Achilles, dem die Beſchirmerin der Griechen, Juno, es ins Herz gelegt, eine Volksver¬ ſammlung, nahm das Wort, und rieth, einen der Opfer¬ prieſter, Seher oder Traumdeuter im Heere zu befragen, durch welche Opfer der Eifer Phöbus Apollo's beſänftigt und das Unheil abgewendet werden könne.
Hierauf ſtand der weiſeſte Vogelſchauer im Heere, der Seher Kalchas auf, und erklärte, den Zorn des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="86"/>
zu Argos bis ins Alter hinter dem Webſtuhl ſitzen! Geh,<lb/>
reize mich nicht, mache, daß du geſund in deine Heimath<lb/>
kommſt!“</p><lb/><p>Chryſes erſchrack und gehorchte. Schweigend eilte er<lb/>
an den Meeresſtrand; dort aber erhob er ſeine Hände zu<lb/>
dem Gotte, dem er diente, und flehte ihn an: „Höre<lb/>
mich, Sminthier, der du zu Chryſa, Cilla und Tenedos<lb/>
herrſcheſt! Wenn ich je dir deinen Tempel zum Wohl¬<lb/>
gefallen geſchmückt, und dir auserleſene Opfer dargebracht<lb/>
habe, ſo vergilt jetzt den Achivern mit dem Geſchoſſe!“</p><lb/><p>So betete er laut: und Apollo erhörte ſeine Bitte.<lb/>
Zorn im Herzen verließ er den Olymp, Bogen und<lb/>
Köcher mit den hallenden Pfeilen auf der Schulter; ſo<lb/>
wandelte er einher wie die düſtere Nacht, dann ſetzte er<lb/>ſich in einiger Entfernung von den griechiſchen Schiffen<lb/>
nieder und ſchnellte Pfeil um Pfeil ab, daß ſein ſilberner<lb/>
Bogen grauenvoll erklang. Wen aber ſein unſichtbarer<lb/>
Pfeil traf, der ſtarb den plötzlichen Tod der Peſt. An¬<lb/>
fangs nun erlegte er im Lager nur Maulthiere und Hunde,<lb/>
bald aber wandte er ſein Geſchoß auch gegen die Men¬<lb/>ſchen, daß einer um den andern dahinſank und bald die<lb/>
Todtenfeuer unaufhörlich aus den Scheiterhaufen loderten.<lb/>
Neun Tage lang wüthete die Peſt im griechiſchen Heere.<lb/>
Am zehnten Tage berief Achilles, dem die Beſchirmerin<lb/>
der Griechen, Juno, es ins Herz gelegt, eine Volksver¬<lb/>ſammlung, nahm das Wort, und rieth, einen der Opfer¬<lb/>
prieſter, Seher oder Traumdeuter im Heere zu befragen,<lb/>
durch welche Opfer der Eifer Phöbus Apollo's beſänftigt<lb/>
und das Unheil abgewendet werden könne.</p><lb/><p>Hierauf ſtand der weiſeſte Vogelſchauer im Heere,<lb/>
der Seher Kalchas auf, und erklärte, den Zorn des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[86/0108]
zu Argos bis ins Alter hinter dem Webſtuhl ſitzen! Geh,
reize mich nicht, mache, daß du geſund in deine Heimath
kommſt!“
Chryſes erſchrack und gehorchte. Schweigend eilte er
an den Meeresſtrand; dort aber erhob er ſeine Hände zu
dem Gotte, dem er diente, und flehte ihn an: „Höre
mich, Sminthier, der du zu Chryſa, Cilla und Tenedos
herrſcheſt! Wenn ich je dir deinen Tempel zum Wohl¬
gefallen geſchmückt, und dir auserleſene Opfer dargebracht
habe, ſo vergilt jetzt den Achivern mit dem Geſchoſſe!“
So betete er laut: und Apollo erhörte ſeine Bitte.
Zorn im Herzen verließ er den Olymp, Bogen und
Köcher mit den hallenden Pfeilen auf der Schulter; ſo
wandelte er einher wie die düſtere Nacht, dann ſetzte er
ſich in einiger Entfernung von den griechiſchen Schiffen
nieder und ſchnellte Pfeil um Pfeil ab, daß ſein ſilberner
Bogen grauenvoll erklang. Wen aber ſein unſichtbarer
Pfeil traf, der ſtarb den plötzlichen Tod der Peſt. An¬
fangs nun erlegte er im Lager nur Maulthiere und Hunde,
bald aber wandte er ſein Geſchoß auch gegen die Men¬
ſchen, daß einer um den andern dahinſank und bald die
Todtenfeuer unaufhörlich aus den Scheiterhaufen loderten.
Neun Tage lang wüthete die Peſt im griechiſchen Heere.
Am zehnten Tage berief Achilles, dem die Beſchirmerin
der Griechen, Juno, es ins Herz gelegt, eine Volksver¬
ſammlung, nahm das Wort, und rieth, einen der Opfer¬
prieſter, Seher oder Traumdeuter im Heere zu befragen,
durch welche Opfer der Eifer Phöbus Apollo's beſänftigt
und das Unheil abgewendet werden könne.
Hierauf ſtand der weiſeſte Vogelſchauer im Heere,
der Seher Kalchas auf, und erklärte, den Zorn des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/108>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.