Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Athener Cimon, der Sohn des Miltiades, auf einem neu¬
en Feldzuge die Insel Scyrus eroberte. Während er
nun mit großem Eifer das Grab des Nationalheros auf¬
suchte, bemerkte er über einem Hügel einen Adler schwe¬
bend. Er machte halt an dieser Stelle, und sah bald,
wie der Vogel herabschoß und die Erde des Grabhügels
mit seinen Krallen aufscharrte. Cimon erblickte in die¬
sem Zeichen eine göttliche Fügung, ließ nachgraben und
fand tief in der Erde den Sarg eines großen Leichnams,
daneben eine eherne Lanze und ein Schwert. Er und
seine Begleiter zweifelten nicht daran, des Theseus Ge¬
beine gefunden zu haben. Die heiligen Ueberreste wurden
von Cimon auf ein schönes Kriegsschiff mit drei Ruder¬
bänken gebracht und in Athen mit Jubel, unter glänzen¬
den Aufzügen und Opfern empfangen. Es war, als ob
Theseus selbst in die Stadt zurückkehrte. So bezahlten
nach Jahrhunderten die Nachkommen dem Begründer der
Freiheit und Bürgerverfassung Athens den Dank, den ihm
eine schnöde Mitwelt schuldig geblieben war.


Athener Cimon, der Sohn des Miltiades, auf einem neu¬
en Feldzuge die Inſel Scyrus eroberte. Während er
nun mit großem Eifer das Grab des Nationalheros auf¬
ſuchte, bemerkte er über einem Hügel einen Adler ſchwe¬
bend. Er machte halt an dieſer Stelle, und ſah bald,
wie der Vogel herabſchoß und die Erde des Grabhügels
mit ſeinen Krallen aufſcharrte. Cimon erblickte in die¬
ſem Zeichen eine göttliche Fügung, ließ nachgraben und
fand tief in der Erde den Sarg eines großen Leichnams,
daneben eine eherne Lanze und ein Schwert. Er und
ſeine Begleiter zweifelten nicht daran, des Theſeus Ge¬
beine gefunden zu haben. Die heiligen Ueberreſte wurden
von Cimon auf ein ſchönes Kriegsſchiff mit drei Ruder¬
bänken gebracht und in Athen mit Jubel, unter glänzen¬
den Aufzügen und Opfern empfangen. Es war, als ob
Theſeus ſelbſt in die Stadt zurückkehrte. So bezahlten
nach Jahrhunderten die Nachkommen dem Begründer der
Freiheit und Bürgerverfaſſung Athens den Dank, den ihm
eine ſchnöde Mitwelt ſchuldig geblieben war.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0337" n="311"/>
Athener Cimon, der Sohn des Miltiades, auf einem neu¬<lb/>
en Feldzuge die In&#x017F;el Scyrus eroberte. Während er<lb/>
nun mit großem Eifer das Grab des Nationalheros auf¬<lb/>
&#x017F;uchte, bemerkte er über einem Hügel einen Adler &#x017F;chwe¬<lb/>
bend. Er machte halt an die&#x017F;er Stelle, und &#x017F;ah bald,<lb/>
wie der Vogel herab&#x017F;choß und die Erde des Grabhügels<lb/>
mit &#x017F;einen Krallen auf&#x017F;charrte. Cimon erblickte in die¬<lb/>
&#x017F;em Zeichen eine göttliche Fügung, ließ nachgraben und<lb/>
fand tief in der Erde den Sarg eines großen Leichnams,<lb/>
daneben eine eherne Lanze und ein Schwert. Er und<lb/>
&#x017F;eine Begleiter zweifelten nicht daran, des The&#x017F;eus Ge¬<lb/>
beine gefunden zu haben. Die heiligen Ueberre&#x017F;te wurden<lb/>
von Cimon auf ein &#x017F;chönes Kriegs&#x017F;chiff mit drei Ruder¬<lb/>
bänken gebracht und in Athen mit Jubel, unter glänzen¬<lb/>
den Aufzügen und Opfern empfangen. Es war, als ob<lb/>
The&#x017F;eus &#x017F;elb&#x017F;t in die Stadt zurückkehrte. So bezahlten<lb/>
nach Jahrhunderten die Nachkommen dem Begründer der<lb/>
Freiheit und Bürgerverfa&#x017F;&#x017F;ung Athens den Dank, den ihm<lb/>
eine &#x017F;chnöde Mitwelt &#x017F;chuldig geblieben war.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0337] Athener Cimon, der Sohn des Miltiades, auf einem neu¬ en Feldzuge die Inſel Scyrus eroberte. Während er nun mit großem Eifer das Grab des Nationalheros auf¬ ſuchte, bemerkte er über einem Hügel einen Adler ſchwe¬ bend. Er machte halt an dieſer Stelle, und ſah bald, wie der Vogel herabſchoß und die Erde des Grabhügels mit ſeinen Krallen aufſcharrte. Cimon erblickte in die¬ ſem Zeichen eine göttliche Fügung, ließ nachgraben und fand tief in der Erde den Sarg eines großen Leichnams, daneben eine eherne Lanze und ein Schwert. Er und ſeine Begleiter zweifelten nicht daran, des Theſeus Ge¬ beine gefunden zu haben. Die heiligen Ueberreſte wurden von Cimon auf ein ſchönes Kriegsſchiff mit drei Ruder¬ bänken gebracht und in Athen mit Jubel, unter glänzen¬ den Aufzügen und Opfern empfangen. Es war, als ob Theſeus ſelbſt in die Stadt zurückkehrte. So bezahlten nach Jahrhunderten die Nachkommen dem Begründer der Freiheit und Bürgerverfaſſung Athens den Dank, den ihm eine ſchnöde Mitwelt ſchuldig geblieben war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/337
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/337>, abgerufen am 22.11.2024.