Volksführer und Schmeichler der Menge gegen den leer¬ stehenden Thron aufgelehnt, und auch die Vornehmen auf¬ gewiegelt, indem er ihnen vorstellte, wie der König sie dadurch, daß er sie von ihren Landsitzen in die Stadt hereingezogen, zu Unterthanen und Sklaven gemacht habe. Dem Volk aber hielt er vor, wie es, dem Traume der Freiheit zu lieb, seine ländlichen Heiligthümer und Götter habe verlassen müßen, und statt von vielen guten einhei¬ mischen Herren abhängig zu seyn, einem Fremdling und Despoten diene. Wie nun Aphidnä's Eroberung durch die Tyndariden Athen mit Schrecken erfüllte, da benützte Menestheus auch diese Stimmung des Volkes. Er bewog die Bürger, den Söhnen des Tyndareus, welche die Jung¬ frau Helena, ihren Wächtern entrissen, mit sich führten, die Stadt zu öffnen und sie freundlich zu empfangen, da dieselben nur gegen Theseus, als den Räuber des Mädchens, Krieg führten. Ihr Betragen bewies, daß Menestheus dießmal wahr gesprochen hatte: denn obgleich sie durch offene Thore in Athen einzogen und alles dort in ihrer Gewalt war, so thaten sie doch Niemand etwas zu Leide, verlangten vielmehr nur, wie andere vornehme Athener und Verwandte des Herkules, in den Geheimdienst der eleusinischen Mysterien aufgenommen zu werden, und zogen dann mit ihrer geretteten Helena, von den Bürgern, die sie liebten und ehrten, zur Stadt hinausgeleitet, wie¬ der in ihre Heimath.
Theseus' Ende.
In seiner langen Gefangenschaft im Hades hatte Theseus Zeit gehabt, das Unbesonnene und Unedle seiner
Volksführer und Schmeichler der Menge gegen den leer¬ ſtehenden Thron aufgelehnt, und auch die Vornehmen auf¬ gewiegelt, indem er ihnen vorſtellte, wie der König ſie dadurch, daß er ſie von ihren Landſitzen in die Stadt hereingezogen, zu Unterthanen und Sklaven gemacht habe. Dem Volk aber hielt er vor, wie es, dem Traume der Freiheit zu lieb, ſeine ländlichen Heiligthümer und Götter habe verlaſſen müßen, und ſtatt von vielen guten einhei¬ miſchen Herren abhängig zu ſeyn, einem Fremdling und Deſpoten diene. Wie nun Aphidnä's Eroberung durch die Tyndariden Athen mit Schrecken erfüllte, da benützte Meneſtheus auch dieſe Stimmung des Volkes. Er bewog die Bürger, den Söhnen des Tyndareus, welche die Jung¬ frau Helena, ihren Wächtern entriſſen, mit ſich führten, die Stadt zu öffnen und ſie freundlich zu empfangen, da dieſelben nur gegen Theſeus, als den Räuber des Mädchens, Krieg führten. Ihr Betragen bewies, daß Meneſtheus dießmal wahr geſprochen hatte: denn obgleich ſie durch offene Thore in Athen einzogen und alles dort in ihrer Gewalt war, ſo thaten ſie doch Niemand etwas zu Leide, verlangten vielmehr nur, wie andere vornehme Athener und Verwandte des Herkules, in den Geheimdienſt der eleuſiniſchen Myſterien aufgenommen zu werden, und zogen dann mit ihrer geretteten Helena, von den Bürgern, die ſie liebten und ehrten, zur Stadt hinausgeleitet, wie¬ der in ihre Heimath.
Theſeus' Ende.
In ſeiner langen Gefangenſchaft im Hades hatte Theſeus Zeit gehabt, das Unbeſonnene und Unedle ſeiner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0334"n="308"/>
Volksführer und Schmeichler der Menge gegen den leer¬<lb/>ſtehenden Thron aufgelehnt, und auch die Vornehmen auf¬<lb/>
gewiegelt, indem er ihnen vorſtellte, wie der König ſie<lb/>
dadurch, daß er ſie von ihren Landſitzen in die Stadt<lb/>
hereingezogen, zu Unterthanen und Sklaven gemacht habe.<lb/>
Dem Volk aber hielt er vor, wie es, dem Traume der<lb/>
Freiheit zu lieb, ſeine ländlichen Heiligthümer und Götter<lb/>
habe verlaſſen müßen, und ſtatt von vielen guten einhei¬<lb/>
miſchen Herren abhängig zu ſeyn, einem Fremdling und<lb/>
Deſpoten diene. Wie nun Aphidnä's Eroberung durch<lb/>
die Tyndariden Athen mit Schrecken erfüllte, da benützte<lb/>
Meneſtheus auch dieſe Stimmung des Volkes. Er bewog<lb/>
die Bürger, den Söhnen des Tyndareus, welche die Jung¬<lb/>
frau Helena, ihren Wächtern entriſſen, mit ſich führten,<lb/>
die Stadt zu öffnen und ſie freundlich zu empfangen,<lb/>
da dieſelben nur gegen Theſeus, als den Räuber des<lb/>
Mädchens, Krieg führten. Ihr Betragen bewies, daß<lb/>
Meneſtheus dießmal wahr geſprochen hatte: denn obgleich<lb/>ſie durch offene Thore in Athen einzogen und alles dort<lb/>
in ihrer Gewalt war, ſo thaten ſie doch Niemand etwas<lb/>
zu Leide, verlangten vielmehr nur, wie andere vornehme<lb/>
Athener und Verwandte des Herkules, in den Geheimdienſt<lb/>
der eleuſiniſchen Myſterien aufgenommen zu werden, und<lb/>
zogen dann mit ihrer geretteten Helena, von den Bürgern,<lb/>
die ſie liebten und ehrten, zur Stadt hinausgeleitet, wie¬<lb/>
der in ihre Heimath.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="3"><head><hirendition="#fr #g">Theſeus' Ende.</hi><lb/></head><p>In ſeiner langen Gefangenſchaft im Hades hatte<lb/>
Theſeus Zeit gehabt, das Unbeſonnene und Unedle ſeiner<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[308/0334]
Volksführer und Schmeichler der Menge gegen den leer¬
ſtehenden Thron aufgelehnt, und auch die Vornehmen auf¬
gewiegelt, indem er ihnen vorſtellte, wie der König ſie
dadurch, daß er ſie von ihren Landſitzen in die Stadt
hereingezogen, zu Unterthanen und Sklaven gemacht habe.
Dem Volk aber hielt er vor, wie es, dem Traume der
Freiheit zu lieb, ſeine ländlichen Heiligthümer und Götter
habe verlaſſen müßen, und ſtatt von vielen guten einhei¬
miſchen Herren abhängig zu ſeyn, einem Fremdling und
Deſpoten diene. Wie nun Aphidnä's Eroberung durch
die Tyndariden Athen mit Schrecken erfüllte, da benützte
Meneſtheus auch dieſe Stimmung des Volkes. Er bewog
die Bürger, den Söhnen des Tyndareus, welche die Jung¬
frau Helena, ihren Wächtern entriſſen, mit ſich führten,
die Stadt zu öffnen und ſie freundlich zu empfangen,
da dieſelben nur gegen Theſeus, als den Räuber des
Mädchens, Krieg führten. Ihr Betragen bewies, daß
Meneſtheus dießmal wahr geſprochen hatte: denn obgleich
ſie durch offene Thore in Athen einzogen und alles dort
in ihrer Gewalt war, ſo thaten ſie doch Niemand etwas
zu Leide, verlangten vielmehr nur, wie andere vornehme
Athener und Verwandte des Herkules, in den Geheimdienſt
der eleuſiniſchen Myſterien aufgenommen zu werden, und
zogen dann mit ihrer geretteten Helena, von den Bürgern,
die ſie liebten und ehrten, zur Stadt hinausgeleitet, wie¬
der in ihre Heimath.
Theſeus' Ende.
In ſeiner langen Gefangenſchaft im Hades hatte
Theſeus Zeit gehabt, das Unbeſonnene und Unedle ſeiner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/334>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.