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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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wurden aufmerksam und spitzten ihr Ohr; und wir alle
sahen uns ängstlich um, woher der Schall käme. Als
unser Blick auf das Meer fiel, zeigte sich uns hier eine
Welle, die thurmhoch gen Himmel ragte und alle Aus¬
sicht auf das weitere Ufer und den Isthmus uns benahm;
der Wasserschwall ergoß sich bald mit Schaum und To¬
sen über das Ufer, gerade auf den Pfad zu, den die
Rosse gingen. Mit der tobenden Welle zugleich aber
spie die See ein Ungeheuer aus, einen riesenhaften Stier,
von dessen Brüllen das Ufer und die Felsen wiederhall¬
ten. Dieser Anblick jagte den Pferden eine plötzliche
Angst ein. Unser Herr jedoch, an's Lenken der Rosse
gewöhnt, zog den Zügel mit beiden Händen straff an,
und gebrauchte desselben, wie ein geschickter Steuermann
sein Ruder regiert. Aber die Rosse waren läufig ge¬
worden, bissen den Zaum und rannten dem Lenker un¬
gehorsam davon. Aber wie sie nun auf ebener Straße fort¬
jagen wollten, vertrat ihnen das Seeungeheuer den Weg;
bogen sie seitwärts zu den Felsen um, so drängte es sie
ganz hinüber, indem es den Rädern dicht zur Seite
trabte. So geschah es endlich, daß auf der andern
Seite die Radfelgen auf die Felsen aufzusitzen kamen,
und dein unglücklicher Sohn kopfüber vom Wagen ge¬
stürzt und mit sammt dem umgeworfenen von den Ros¬
sen, die ohne Führer dahin stürmten, über Sand und
Felsgestein dahin geschleift wurde. Alles ging viel zu
schnell, als daß wir begleitenden Diener dem Herrn hät¬
ten zu Hülfe kommen können. Halbzerschmettert hauchte
er den Zuruf an seine sonst so gehorsamen Rosse und
die Wehklage über den Fluch seines Vaters in die Lüfte.
Eine Felsecke entzog uns den Anblick. Das Meerungeheuer

wurden aufmerkſam und ſpitzten ihr Ohr; und wir alle
ſahen uns ängſtlich um, woher der Schall käme. Als
unſer Blick auf das Meer fiel, zeigte ſich uns hier eine
Welle, die thurmhoch gen Himmel ragte und alle Aus¬
ſicht auf das weitere Ufer und den Iſthmus uns benahm;
der Waſſerſchwall ergoß ſich bald mit Schaum und To¬
ſen über das Ufer, gerade auf den Pfad zu, den die
Roſſe gingen. Mit der tobenden Welle zugleich aber
ſpie die See ein Ungeheuer aus, einen rieſenhaften Stier,
von deſſen Brüllen das Ufer und die Felſen wiederhall¬
ten. Dieſer Anblick jagte den Pferden eine plötzliche
Angſt ein. Unſer Herr jedoch, an's Lenken der Roſſe
gewöhnt, zog den Zügel mit beiden Händen ſtraff an,
und gebrauchte deſſelben, wie ein geſchickter Steuermann
ſein Ruder regiert. Aber die Roſſe waren läufig ge¬
worden, biſſen den Zaum und rannten dem Lenker un¬
gehorſam davon. Aber wie ſie nun auf ebener Straße fort¬
jagen wollten, vertrat ihnen das Seeungeheuer den Weg;
bogen ſie ſeitwärts zu den Felſen um, ſo drängte es ſie
ganz hinüber, indem es den Rädern dicht zur Seite
trabte. So geſchah es endlich, daß auf der andern
Seite die Radfelgen auf die Felſen aufzuſitzen kamen,
und dein unglücklicher Sohn kopfüber vom Wagen ge¬
ſtürzt und mit ſammt dem umgeworfenen von den Roſ¬
ſen, die ohne Führer dahin ſtürmten, über Sand und
Felsgeſtein dahin geſchleift wurde. Alles ging viel zu
ſchnell, als daß wir begleitenden Diener dem Herrn hät¬
ten zu Hülfe kommen können. Halbzerſchmettert hauchte
er den Zuruf an ſeine ſonſt ſo gehorſamen Roſſe und
die Wehklage über den Fluch ſeines Vaters in die Lüfte.
Eine Felsecke entzog uns den Anblick. Das Meerungeheuer

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[304/0330] wurden aufmerkſam und ſpitzten ihr Ohr; und wir alle ſahen uns ängſtlich um, woher der Schall käme. Als unſer Blick auf das Meer fiel, zeigte ſich uns hier eine Welle, die thurmhoch gen Himmel ragte und alle Aus¬ ſicht auf das weitere Ufer und den Iſthmus uns benahm; der Waſſerſchwall ergoß ſich bald mit Schaum und To¬ ſen über das Ufer, gerade auf den Pfad zu, den die Roſſe gingen. Mit der tobenden Welle zugleich aber ſpie die See ein Ungeheuer aus, einen rieſenhaften Stier, von deſſen Brüllen das Ufer und die Felſen wiederhall¬ ten. Dieſer Anblick jagte den Pferden eine plötzliche Angſt ein. Unſer Herr jedoch, an's Lenken der Roſſe gewöhnt, zog den Zügel mit beiden Händen ſtraff an, und gebrauchte deſſelben, wie ein geſchickter Steuermann ſein Ruder regiert. Aber die Roſſe waren läufig ge¬ worden, biſſen den Zaum und rannten dem Lenker un¬ gehorſam davon. Aber wie ſie nun auf ebener Straße fort¬ jagen wollten, vertrat ihnen das Seeungeheuer den Weg; bogen ſie ſeitwärts zu den Felſen um, ſo drängte es ſie ganz hinüber, indem es den Rädern dicht zur Seite trabte. So geſchah es endlich, daß auf der andern Seite die Radfelgen auf die Felſen aufzuſitzen kamen, und dein unglücklicher Sohn kopfüber vom Wagen ge¬ ſtürzt und mit ſammt dem umgeworfenen von den Roſ¬ ſen, die ohne Führer dahin ſtürmten, über Sand und Felsgeſtein dahin geſchleift wurde. Alles ging viel zu ſchnell, als daß wir begleitenden Diener dem Herrn hät¬ ten zu Hülfe kommen können. Halbzerſchmettert hauchte er den Zuruf an ſeine ſonſt ſo gehorſamen Roſſe und die Wehklage über den Fluch ſeines Vaters in die Lüfte. Eine Felsecke entzog uns den Anblick. Das Meerungeheuer

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/330>, abgerufen am 22.11.2024.