sondern eilte mit der Gabe nach Euböa, um den opfern¬ den Herrn nicht länger ohne Kunde von der Heimath zu lassen. Einige Tage vergingen, und der älteste Sohn des Herkules und der Deianira, Hyllus, war seinem Vater entgegengeeilt, um ihm die Ungeduld der harren¬ den Mutter zu schildern und ihn zu beschleunigter Heimkehr zu bewegen. Inzwischen hatte Deianira zufällig das Ge¬ mach wieder betreten, wo das Zaubergewand von ihr ge¬ färbt worden war. Sie fand die Wollenflocke auf dem Boden liegen, wie sie dieselbe unachtsam hingeworfen, dem Son¬ nenstrahl ausgesetzt und von ihm durchwärmt. Ihr An¬ blick aber entsetzte sie, denn die Wolle war wie zu Staub oder Sägspänen zusammen geschwunden und aus den Ueberbleibseln zischte ein blasenvoller, giftiger Schaum auf. Eine dunkle Ahnung ergriff die jammervolle Frau, daß sie Unglückseliges begangen habe, und in entsetzlicher Unruhe durchirrte sie seit diesem Augenblicke den Pallast.
Endlich kam Hyllus zurück, aber ohne den Vater. "O Mutter," rief er ihr mit Abscheu zu, "ich wollte du hättest nie gelebt, oder du wärest nie meine Mutter gewesen, oder die Götter hätten dir eine andere Sinnesart gege¬ ben!" So unruhig die Fürstin schon vorher war, so er¬ schrack sie doch noch mehr bei diesen Worten ihres Sohnes. "Kind," erwiederte sie ihm, "was ist denn so Gehässiges an mir?" "Ich komme vom Vorgebirge Cenäum, Mut¬ ter," entgegnete ihr der Sohn mit lautem Schluchzen, "Du bist es, die mir den Vater dahingewürgt!" Deianira wurde todtesbleich, doch raffte sie sich zusammen und sprach: "Von wem weißest du Solches, mein Sohn, wer darf mich so entsetzlicher Unthat zeihen?" -- "Kein fremder Mund hat mich belehrt," fuhr der Jüngling fort, "mit ei¬
ſondern eilte mit der Gabe nach Euböa, um den opfern¬ den Herrn nicht länger ohne Kunde von der Heimath zu laſſen. Einige Tage vergingen, und der älteſte Sohn des Herkules und der Deïanira, Hyllus, war ſeinem Vater entgegengeeilt, um ihm die Ungeduld der harren¬ den Mutter zu ſchildern und ihn zu beſchleunigter Heimkehr zu bewegen. Inzwiſchen hatte Deïanira zufällig das Ge¬ mach wieder betreten, wo das Zaubergewand von ihr ge¬ färbt worden war. Sie fand die Wollenflocke auf dem Boden liegen, wie ſie dieſelbe unachtſam hingeworfen, dem Son¬ nenſtrahl ausgeſetzt und von ihm durchwärmt. Ihr An¬ blick aber entſetzte ſie, denn die Wolle war wie zu Staub oder Sägſpänen zuſammen geſchwunden und aus den Ueberbleibſeln ziſchte ein blaſenvoller, giftiger Schaum auf. Eine dunkle Ahnung ergriff die jammervolle Frau, daß ſie Unglückſeliges begangen habe, und in entſetzlicher Unruhe durchirrte ſie ſeit dieſem Augenblicke den Pallaſt.
Endlich kam Hyllus zurück, aber ohne den Vater. „O Mutter,“ rief er ihr mit Abſcheu zu, „ich wollte du hätteſt nie gelebt, oder du wäreſt nie meine Mutter geweſen, oder die Götter hätten dir eine andere Sinnesart gege¬ ben!“ So unruhig die Fürſtin ſchon vorher war, ſo er¬ ſchrack ſie doch noch mehr bei dieſen Worten ihres Sohnes. „Kind,“ erwiederte ſie ihm, „was iſt denn ſo Gehäſſiges an mir?“ „Ich komme vom Vorgebirge Cenäum, Mut¬ ter,“ entgegnete ihr der Sohn mit lautem Schluchzen, „Du biſt es, die mir den Vater dahingewürgt!“ Deïanira wurde todtesbleich, doch raffte ſie ſich zuſammen und ſprach: „Von wem weißeſt du Solches, mein Sohn, wer darf mich ſo entſetzlicher Unthat zeihen?“ — „Kein fremder Mund hat mich belehrt,“ fuhr der Jüngling fort, „mit ei¬
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ſondern eilte mit der Gabe nach Euböa, um den opfern¬
den Herrn nicht länger ohne Kunde von der Heimath
zu laſſen. Einige Tage vergingen, und der älteſte Sohn
des Herkules und der Deïanira, Hyllus, war ſeinem
Vater entgegengeeilt, um ihm die Ungeduld der harren¬
den Mutter zu ſchildern und ihn zu beſchleunigter Heimkehr
zu bewegen. Inzwiſchen hatte Deïanira zufällig das Ge¬
mach wieder betreten, wo das Zaubergewand von ihr ge¬
färbt worden war. Sie fand die Wollenflocke auf dem Boden
liegen, wie ſie dieſelbe unachtſam hingeworfen, dem Son¬
nenſtrahl ausgeſetzt und von ihm durchwärmt. Ihr An¬
blick aber entſetzte ſie, denn die Wolle war wie zu Staub
oder Sägſpänen zuſammen geſchwunden und aus den
Ueberbleibſeln ziſchte ein blaſenvoller, giftiger Schaum
auf. Eine dunkle Ahnung ergriff die jammervolle Frau,
daß ſie Unglückſeliges begangen habe, und in entſetzlicher
Unruhe durchirrte ſie ſeit dieſem Augenblicke den Pallaſt.
Endlich kam Hyllus zurück, aber ohne den Vater. „O
Mutter,“ rief er ihr mit Abſcheu zu, „ich wollte du hätteſt
nie gelebt, oder du wäreſt nie meine Mutter geweſen,
oder die Götter hätten dir eine andere Sinnesart gege¬
ben!“ So unruhig die Fürſtin ſchon vorher war, ſo er¬
ſchrack ſie doch noch mehr bei dieſen Worten ihres Sohnes.
„Kind,“ erwiederte ſie ihm, „was iſt denn ſo Gehäſſiges
an mir?“ „Ich komme vom Vorgebirge Cenäum, Mut¬
ter,“ entgegnete ihr der Sohn mit lautem Schluchzen,
„Du biſt es, die mir den Vater dahingewürgt!“ Deïanira
wurde todtesbleich, doch raffte ſie ſich zuſammen und ſprach:
„Von wem weißeſt du Solches, mein Sohn, wer darf
mich ſo entſetzlicher Unthat zeihen?“ — „Kein fremder
Mund hat mich belehrt,“ fuhr der Jüngling fort, „mit ei¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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