gendlebens gegeben, er versank in weibische Wollust. Da¬ durch gerieth er bei seiner Gemahlin Omphale selbst in Verachtung: sie kleidete sich in die Löwenhaut des Helden, ihm selbst aber ließ sie weichliche lydische Weiberkleider an¬ legen, und brachte ihn in seiner blinden Liebe so weit, daß er, zu ihren Füßen sitzend, Wolle spann. Der Nacken, dem einst bei Atlas der Himmel eine leichte Last gewesen war, trug jetzt ein goldenes Weiberhalsband, die nervigen Heldenarme umspannten Armbänder, mit Juwelen besetzt, sein Haar quoll ungeschoren unter einer Mitra hervor; langes Frauengewand wallte über die Heldenglieder her¬ ab. So saß er, den Wocken vor sich, unter andern jo¬ nischen Mägden, spann mit seinen knochigen Fingern den dicken Faden ab, und fürchtete das Schelten seiner Her¬ rin, wenn er sein Tagewerk nicht vollständig geliefert. War sie aber guter Laune, so mußte der Mann in Wei¬ bertracht ihr und ihren Frauen die Thaten seiner Helden¬ jugend erzählen, wie er die Schlangen mit der Knabenhand erdrückt, wie den Riesen Geryones als Jüngling erlegt, wie der Hyder den unsterblichen Kopf abgeschlagen, wie den Höllenhund aus dem Rachen des Hades heraufgezogen. An diesen Thaten ergötzten sich dann die Weiber, wie man an Ammenmährchen seine Freude hat.
Endlich, als seine Dienstjahre bei Omphale vorüber waren, erwachte Herkules aus seiner Verblendung. Mit Abscheu schüttelte er die Weiberkleider ab, und es kostete ihn nur das Wollen eines Augenblicks, so war er wieder der krafterfüllte Jovissohn voll von Heldenentschlüssen. Das Erste, was er, der Freiheit zurückgegeben, beschloß, war, an seinen Feinden Rache zu nehmen.
gendlebens gegeben, er verſank in weibiſche Wolluſt. Da¬ durch gerieth er bei ſeiner Gemahlin Omphale ſelbſt in Verachtung: ſie kleidete ſich in die Löwenhaut des Helden, ihm ſelbſt aber ließ ſie weichliche lydiſche Weiberkleider an¬ legen, und brachte ihn in ſeiner blinden Liebe ſo weit, daß er, zu ihren Füßen ſitzend, Wolle ſpann. Der Nacken, dem einſt bei Atlas der Himmel eine leichte Laſt geweſen war, trug jetzt ein goldenes Weiberhalsband, die nervigen Heldenarme umſpannten Armbänder, mit Juwelen beſetzt, ſein Haar quoll ungeſchoren unter einer Mitra hervor; langes Frauengewand wallte über die Heldenglieder her¬ ab. So ſaß er, den Wocken vor ſich, unter andern jo¬ niſchen Mägden, ſpann mit ſeinen knochigen Fingern den dicken Faden ab, und fürchtete das Schelten ſeiner Her¬ rin, wenn er ſein Tagewerk nicht vollſtändig geliefert. War ſie aber guter Laune, ſo mußte der Mann in Wei¬ bertracht ihr und ihren Frauen die Thaten ſeiner Helden¬ jugend erzählen, wie er die Schlangen mit der Knabenhand erdrückt, wie den Rieſen Geryones als Jüngling erlegt, wie der Hyder den unſterblichen Kopf abgeſchlagen, wie den Höllenhund aus dem Rachen des Hades heraufgezogen. An dieſen Thaten ergötzten ſich dann die Weiber, wie man an Ammenmährchen ſeine Freude hat.
Endlich, als ſeine Dienſtjahre bei Omphale vorüber waren, erwachte Herkules aus ſeiner Verblendung. Mit Abſcheu ſchüttelte er die Weiberkleider ab, und es koſtete ihn nur das Wollen eines Augenblicks, ſo war er wieder der krafterfüllte Jovisſohn voll von Heldenentſchlüſſen. Das Erſte, was er, der Freiheit zurückgegeben, beſchloß, war, an ſeinen Feinden Rache zu nehmen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0277"n="251"/>
gendlebens gegeben, er verſank in weibiſche Wolluſt. Da¬<lb/>
durch gerieth er bei ſeiner Gemahlin Omphale ſelbſt in<lb/>
Verachtung: ſie kleidete ſich in die Löwenhaut des Helden,<lb/>
ihm ſelbſt aber ließ ſie weichliche lydiſche Weiberkleider an¬<lb/>
legen, und brachte ihn in ſeiner blinden Liebe ſo weit,<lb/>
daß er, zu ihren Füßen ſitzend, Wolle ſpann. Der Nacken,<lb/>
dem einſt bei Atlas der Himmel eine leichte Laſt geweſen<lb/>
war, trug jetzt ein goldenes Weiberhalsband, die nervigen<lb/>
Heldenarme umſpannten Armbänder, mit Juwelen beſetzt,<lb/>ſein Haar quoll ungeſchoren unter einer Mitra hervor;<lb/>
langes Frauengewand wallte über die Heldenglieder her¬<lb/>
ab. So ſaß er, den Wocken vor ſich, unter andern jo¬<lb/>
niſchen Mägden, ſpann mit ſeinen knochigen Fingern den<lb/>
dicken Faden ab, und fürchtete das Schelten ſeiner Her¬<lb/>
rin, wenn er ſein Tagewerk nicht vollſtändig geliefert.<lb/>
War ſie aber guter Laune, ſo mußte der Mann in Wei¬<lb/>
bertracht ihr und ihren Frauen die Thaten ſeiner Helden¬<lb/>
jugend erzählen, wie er die Schlangen mit der Knabenhand<lb/>
erdrückt, wie den Rieſen Geryones als Jüngling erlegt, wie<lb/>
der Hyder den unſterblichen Kopf abgeſchlagen, wie den<lb/>
Höllenhund aus dem Rachen des Hades heraufgezogen.<lb/>
An dieſen Thaten ergötzten ſich dann die Weiber, wie man<lb/>
an Ammenmährchen ſeine Freude hat.</p><lb/><p>Endlich, als ſeine Dienſtjahre bei Omphale vorüber<lb/>
waren, erwachte Herkules aus ſeiner Verblendung. Mit<lb/>
Abſcheu ſchüttelte er die Weiberkleider ab, und es koſtete<lb/>
ihn nur das Wollen eines Augenblicks, ſo war er wieder<lb/>
der krafterfüllte Jovisſohn voll von Heldenentſchlüſſen.<lb/>
Das Erſte, was er, der Freiheit zurückgegeben, beſchloß,<lb/>
war, an ſeinen Feinden Rache zu nehmen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></div></body></text></TEI>
[251/0277]
gendlebens gegeben, er verſank in weibiſche Wolluſt. Da¬
durch gerieth er bei ſeiner Gemahlin Omphale ſelbſt in
Verachtung: ſie kleidete ſich in die Löwenhaut des Helden,
ihm ſelbſt aber ließ ſie weichliche lydiſche Weiberkleider an¬
legen, und brachte ihn in ſeiner blinden Liebe ſo weit,
daß er, zu ihren Füßen ſitzend, Wolle ſpann. Der Nacken,
dem einſt bei Atlas der Himmel eine leichte Laſt geweſen
war, trug jetzt ein goldenes Weiberhalsband, die nervigen
Heldenarme umſpannten Armbänder, mit Juwelen beſetzt,
ſein Haar quoll ungeſchoren unter einer Mitra hervor;
langes Frauengewand wallte über die Heldenglieder her¬
ab. So ſaß er, den Wocken vor ſich, unter andern jo¬
niſchen Mägden, ſpann mit ſeinen knochigen Fingern den
dicken Faden ab, und fürchtete das Schelten ſeiner Her¬
rin, wenn er ſein Tagewerk nicht vollſtändig geliefert.
War ſie aber guter Laune, ſo mußte der Mann in Wei¬
bertracht ihr und ihren Frauen die Thaten ſeiner Helden¬
jugend erzählen, wie er die Schlangen mit der Knabenhand
erdrückt, wie den Rieſen Geryones als Jüngling erlegt, wie
der Hyder den unſterblichen Kopf abgeſchlagen, wie den
Höllenhund aus dem Rachen des Hades heraufgezogen.
An dieſen Thaten ergötzten ſich dann die Weiber, wie man
an Ammenmährchen ſeine Freude hat.
Endlich, als ſeine Dienſtjahre bei Omphale vorüber
waren, erwachte Herkules aus ſeiner Verblendung. Mit
Abſcheu ſchüttelte er die Weiberkleider ab, und es koſtete
ihn nur das Wollen eines Augenblicks, ſo war er wieder
der krafterfüllte Jovisſohn voll von Heldenentſchlüſſen.
Das Erſte, was er, der Freiheit zurückgegeben, beſchloß,
war, an ſeinen Feinden Rache zu nehmen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/277>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.