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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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trogen, schiffte in dunkler Nacht nach der heiligen Insel
hinüber. Dort allein mit der Schwester zusammengekom¬
men, versuchte er das Gemüth der Verschlagenen, ob sie
wirklich eine List gegen die Fremdlinge hegte; aber es
war, als wenn ein schwacher Knabe durch einen ange¬
schwollenen Bergstrom waten wollte, über den kein kräfti¬
ger Mann ungestraft setzen kann. Denn als sie mitten
im Gespräche waren, und die Schwester ihm Alles zu¬
sagte, da stürzte plötzlich Jason aus dem verborgenen
Hinterhalte hervor, das bloße Schwert in der Hand.
Die Jungfrau aber wandte ihre Augen ab und bedeckte
sich mit dem Schleier, um den Mord ihres Bruders nicht
mit ansehen zu müssen. Wie ein Opferthier stürzte der
Königssohn unter den Streichen Jasons und bespritzte Ge¬
wand und Schleier der abgekehrten Medea mit seinem
Bruderblut. Aber die Rachegöttin, die nichts übersieht,
sah aus ihrem Verstecke mit finsterem Auge die gräßliche
That, die hier begangen ward.

Nachdem Jason sich von dem Morde gereinigt und
den Leichnam begraben hatte, gab Medea den Argonauten
mit einer Fackel das verabredete Zeichen. Diese, die sich
während der Unterhandlungen wieder auf ihr Schiff zu¬
rückbegeben hatten, landeten jetzt auf der Dianeninsel und
fielen, wie Habichte über Taubenschaaren oder Löwen
über Schafheerden, über die ihres Führers beraubten Be¬
gleiter des Absyrtus her. Keiner entging dem Tode. Ja¬
son, der den Seinigen zu Hülfe kommen wollte, erschien
zu spät, denn schon war der Sieg entschieden.


trogen, ſchiffte in dunkler Nacht nach der heiligen Inſel
hinüber. Dort allein mit der Schweſter zuſammengekom¬
men, verſuchte er das Gemüth der Verſchlagenen, ob ſie
wirklich eine Liſt gegen die Fremdlinge hegte; aber es
war, als wenn ein ſchwacher Knabe durch einen ange¬
ſchwollenen Bergſtrom waten wollte, über den kein kräfti¬
ger Mann ungeſtraft ſetzen kann. Denn als ſie mitten
im Geſpräche waren, und die Schweſter ihm Alles zu¬
ſagte, da ſtürzte plötzlich Jaſon aus dem verborgenen
Hinterhalte hervor, das bloße Schwert in der Hand.
Die Jungfrau aber wandte ihre Augen ab und bedeckte
ſich mit dem Schleier, um den Mord ihres Bruders nicht
mit anſehen zu müſſen. Wie ein Opferthier ſtürzte der
Königsſohn unter den Streichen Jaſons und beſpritzte Ge¬
wand und Schleier der abgekehrten Medea mit ſeinem
Bruderblut. Aber die Rachegöttin, die nichts überſieht,
ſah aus ihrem Verſtecke mit finſterem Auge die gräßliche
That, die hier begangen ward.

Nachdem Jaſon ſich von dem Morde gereinigt und
den Leichnam begraben hatte, gab Medea den Argonauten
mit einer Fackel das verabredete Zeichen. Dieſe, die ſich
während der Unterhandlungen wieder auf ihr Schiff zu¬
rückbegeben hatten, landeten jetzt auf der Dianeninſel und
fielen, wie Habichte über Taubenſchaaren oder Löwen
über Schafheerden, über die ihres Führers beraubten Be¬
gleiter des Abſyrtus her. Keiner entging dem Tode. Ja¬
ſon, der den Seinigen zu Hülfe kommen wollte, erſchien
zu ſpät, denn ſchon war der Sieg entſchieden.


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[153/0179] trogen, ſchiffte in dunkler Nacht nach der heiligen Inſel hinüber. Dort allein mit der Schweſter zuſammengekom¬ men, verſuchte er das Gemüth der Verſchlagenen, ob ſie wirklich eine Liſt gegen die Fremdlinge hegte; aber es war, als wenn ein ſchwacher Knabe durch einen ange¬ ſchwollenen Bergſtrom waten wollte, über den kein kräfti¬ ger Mann ungeſtraft ſetzen kann. Denn als ſie mitten im Geſpräche waren, und die Schweſter ihm Alles zu¬ ſagte, da ſtürzte plötzlich Jaſon aus dem verborgenen Hinterhalte hervor, das bloße Schwert in der Hand. Die Jungfrau aber wandte ihre Augen ab und bedeckte ſich mit dem Schleier, um den Mord ihres Bruders nicht mit anſehen zu müſſen. Wie ein Opferthier ſtürzte der Königsſohn unter den Streichen Jaſons und beſpritzte Ge¬ wand und Schleier der abgekehrten Medea mit ſeinem Bruderblut. Aber die Rachegöttin, die nichts überſieht, ſah aus ihrem Verſtecke mit finſterem Auge die gräßliche That, die hier begangen ward. Nachdem Jaſon ſich von dem Morde gereinigt und den Leichnam begraben hatte, gab Medea den Argonauten mit einer Fackel das verabredete Zeichen. Dieſe, die ſich während der Unterhandlungen wieder auf ihr Schiff zu¬ rückbegeben hatten, landeten jetzt auf der Dianeninſel und fielen, wie Habichte über Taubenſchaaren oder Löwen über Schafheerden, über die ihres Führers beraubten Be¬ gleiter des Abſyrtus her. Keiner entging dem Tode. Ja¬ ſon, der den Seinigen zu Hülfe kommen wollte, erſchien zu ſpät, denn ſchon war der Sieg entſchieden.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/179>, abgerufen am 24.11.2024.