Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

um; meine Vermessenheit hat dir das goldne Vließ ver¬
schafft; für dich habe ich Schmach auf den Frauenna¬
men geladen, deßwegen folge ich dir als dein Mädchen,
als dein Weib, als deine Schwester ins griechische Land.
Und darum beschirme mich auch, laß mich nicht allein
hier, überlaß mich nicht den Königen zum Urtheil. Wenn
mich jener Richter meinem Vater zuspricht, so bin ich
verloren, wie wäre dir dann deine Rückkehr angenehm?
wie könnte Jupiters Gemahlin, Juno, dieses billigen, sie,
deren du dich rühmest? Ja wenn du mich verlässest, so
wirst du einst, in Elend versunken, mein gedenken. Wie
ein Traum soll dir das goldne Vließ in den Hades ent¬
schwinden! Aus dem Vaterlande sollen dich meine Rache¬
geister treiben, wie ich durch deine Verkehrtheit aus mei¬
nem Vaterlande getrieben worden bin!" So sprach sie
in wilder Leidenschaft und gedachte Feuer in das Schiff
zu legen, Alles zu verbrennen und selbst hinein zu stür¬
zen. Bei ihrem Anblicke ward Jason scheu, das Gewis¬
sen schlug ihm und er sprach mit begütigenden Worten:
"Fasse dich, Gute! mir selbst ist jener Vertrag nicht Ernst!
Suchen wir ja nur einen Aufschub der Schlacht, weil
eine ganze Wolke von Feinden uns umringt, um deinet¬
willen. Denn Alles was hier wohnt, ist den Kolchiern
befreundet und will deinem Bruder Absyrtus helfen, daß
er dich als Gefangene dem Vater zurückbringe. Wir
alle aber, wenn wir jetzt den Kampf beginnen, werden
elendiglich umkommen, und deine Lage wild noch hoff¬
nungsloser, wenn wir gestorben sind und dich den Fein¬
den als Beute zurücklassen. Vielmehr soll jener Vertrag
nur ein Hinterhalt seyn, der den Absyrtus ins Verderben
stürzt; denn wenn ihr Führer todt ist, so werden den

um; meine Vermeſſenheit hat dir das goldne Vließ ver¬
ſchafft; für dich habe ich Schmach auf den Frauenna¬
men geladen, deßwegen folge ich dir als dein Mädchen,
als dein Weib, als deine Schweſter ins griechiſche Land.
Und darum beſchirme mich auch, laß mich nicht allein
hier, überlaß mich nicht den Königen zum Urtheil. Wenn
mich jener Richter meinem Vater zuſpricht, ſo bin ich
verloren, wie wäre dir dann deine Rückkehr angenehm?
wie könnte Jupiters Gemahlin, Juno, dieſes billigen, ſie,
deren du dich rühmeſt? Ja wenn du mich verläſſeſt, ſo
wirſt du einſt, in Elend verſunken, mein gedenken. Wie
ein Traum ſoll dir das goldne Vließ in den Hades ent¬
ſchwinden! Aus dem Vaterlande ſollen dich meine Rache¬
geiſter treiben, wie ich durch deine Verkehrtheit aus mei¬
nem Vaterlande getrieben worden bin!“ So ſprach ſie
in wilder Leidenſchaft und gedachte Feuer in das Schiff
zu legen, Alles zu verbrennen und ſelbſt hinein zu ſtür¬
zen. Bei ihrem Anblicke ward Jaſon ſcheu, das Gewiſ¬
ſen ſchlug ihm und er ſprach mit begütigenden Worten:
„Faſſe dich, Gute! mir ſelbſt iſt jener Vertrag nicht Ernſt!
Suchen wir ja nur einen Aufſchub der Schlacht, weil
eine ganze Wolke von Feinden uns umringt, um deinet¬
willen. Denn Alles was hier wohnt, iſt den Kolchiern
befreundet und will deinem Bruder Abſyrtus helfen, daß
er dich als Gefangene dem Vater zurückbringe. Wir
alle aber, wenn wir jetzt den Kampf beginnen, werden
elendiglich umkommen, und deine Lage wild noch hoff¬
nungsloſer, wenn wir geſtorben ſind und dich den Fein¬
den als Beute zurücklaſſen. Vielmehr ſoll jener Vertrag
nur ein Hinterhalt ſeyn, der den Abſyrtus ins Verderben
ſtürzt; denn wenn ihr Führer todt iſt, ſo werden den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0177" n="151"/>
um; meine Verme&#x017F;&#x017F;enheit hat dir das goldne Vließ ver¬<lb/>
&#x017F;chafft; für dich habe ich Schmach auf den Frauenna¬<lb/>
men geladen, deßwegen folge ich dir als dein Mädchen,<lb/>
als dein Weib, als deine Schwe&#x017F;ter ins griechi&#x017F;che Land.<lb/>
Und darum be&#x017F;chirme mich auch, laß mich nicht allein<lb/>
hier, überlaß mich nicht den Königen zum Urtheil. Wenn<lb/>
mich jener Richter meinem Vater zu&#x017F;pricht, &#x017F;o bin ich<lb/>
verloren, wie wäre dir dann deine Rückkehr angenehm?<lb/>
wie könnte Jupiters Gemahlin, Juno, die&#x017F;es billigen, &#x017F;ie,<lb/>
deren du dich rühme&#x017F;t? Ja wenn du mich verlä&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
wir&#x017F;t du ein&#x017F;t, in Elend ver&#x017F;unken, mein gedenken. Wie<lb/>
ein Traum &#x017F;oll dir das goldne Vließ in den Hades ent¬<lb/>
&#x017F;chwinden! Aus dem Vaterlande &#x017F;ollen dich meine Rache¬<lb/>
gei&#x017F;ter treiben, wie ich durch deine Verkehrtheit aus mei¬<lb/>
nem Vaterlande getrieben worden bin!&#x201C; So &#x017F;prach &#x017F;ie<lb/>
in wilder Leiden&#x017F;chaft und gedachte Feuer in das Schiff<lb/>
zu legen, Alles zu verbrennen und &#x017F;elb&#x017F;t hinein zu &#x017F;tür¬<lb/>
zen. Bei ihrem Anblicke ward Ja&#x017F;on &#x017F;cheu, das Gewi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;chlug ihm und er &#x017F;prach mit begütigenden Worten:<lb/>
&#x201E;Fa&#x017F;&#x017F;e dich, Gute! mir &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t jener Vertrag nicht Ern&#x017F;t!<lb/>
Suchen wir ja nur einen Auf&#x017F;chub der Schlacht, weil<lb/>
eine ganze Wolke von Feinden uns umringt, um deinet¬<lb/>
willen. Denn Alles was hier wohnt, i&#x017F;t den Kolchiern<lb/>
befreundet und will deinem Bruder Ab&#x017F;yrtus helfen, daß<lb/>
er dich als Gefangene dem Vater zurückbringe. Wir<lb/>
alle aber, wenn wir jetzt den Kampf beginnen, werden<lb/>
elendiglich umkommen, und deine Lage wild noch hoff¬<lb/>
nungslo&#x017F;er, wenn wir ge&#x017F;torben &#x017F;ind und dich den Fein¬<lb/>
den als Beute zurückla&#x017F;&#x017F;en. Vielmehr &#x017F;oll jener Vertrag<lb/>
nur ein Hinterhalt &#x017F;eyn, der den Ab&#x017F;yrtus ins Verderben<lb/>
&#x017F;türzt; denn wenn ihr Führer todt i&#x017F;t, &#x017F;o werden den<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0177] um; meine Vermeſſenheit hat dir das goldne Vließ ver¬ ſchafft; für dich habe ich Schmach auf den Frauenna¬ men geladen, deßwegen folge ich dir als dein Mädchen, als dein Weib, als deine Schweſter ins griechiſche Land. Und darum beſchirme mich auch, laß mich nicht allein hier, überlaß mich nicht den Königen zum Urtheil. Wenn mich jener Richter meinem Vater zuſpricht, ſo bin ich verloren, wie wäre dir dann deine Rückkehr angenehm? wie könnte Jupiters Gemahlin, Juno, dieſes billigen, ſie, deren du dich rühmeſt? Ja wenn du mich verläſſeſt, ſo wirſt du einſt, in Elend verſunken, mein gedenken. Wie ein Traum ſoll dir das goldne Vließ in den Hades ent¬ ſchwinden! Aus dem Vaterlande ſollen dich meine Rache¬ geiſter treiben, wie ich durch deine Verkehrtheit aus mei¬ nem Vaterlande getrieben worden bin!“ So ſprach ſie in wilder Leidenſchaft und gedachte Feuer in das Schiff zu legen, Alles zu verbrennen und ſelbſt hinein zu ſtür¬ zen. Bei ihrem Anblicke ward Jaſon ſcheu, das Gewiſ¬ ſen ſchlug ihm und er ſprach mit begütigenden Worten: „Faſſe dich, Gute! mir ſelbſt iſt jener Vertrag nicht Ernſt! Suchen wir ja nur einen Aufſchub der Schlacht, weil eine ganze Wolke von Feinden uns umringt, um deinet¬ willen. Denn Alles was hier wohnt, iſt den Kolchiern befreundet und will deinem Bruder Abſyrtus helfen, daß er dich als Gefangene dem Vater zurückbringe. Wir alle aber, wenn wir jetzt den Kampf beginnen, werden elendiglich umkommen, und deine Lage wild noch hoff¬ nungsloſer, wenn wir geſtorben ſind und dich den Fein¬ den als Beute zurücklaſſen. Vielmehr ſoll jener Vertrag nur ein Hinterhalt ſeyn, der den Abſyrtus ins Verderben ſtürzt; denn wenn ihr Führer todt iſt, ſo werden den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/177
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/177>, abgerufen am 27.11.2024.