in diesem Schiffe versammelt." Und nun nannte er ihm die Vornehmsten mit Namen, meldete ihm auch Jasons, ihres Vetters, Geschlecht.
Als der König dieses hörte, erschrack er in seinem Herzen und wurde zornig auf seine Enkel, denn durch sie veranlaßt, glaubte er, seyen die Fremdlinge an seinen Hof gekommen. Seine Augen brannten unter den bu¬ schigen Brauen und er sprach laut: "Geht mir aus den Augen, ihr Frevler, mit euren Ränken! Nicht das Vließ zu holen, sondern mir Scepter und Krone zu entreißen, seyd ihr hierhergekommen! Säßet ihr nicht als Gäste an meinem Tisch, so hätte ich euch längst die Zungen aus¬ reißen und die Hände abhauen lassen und euch nur die Füße geschenkt, um davon zu gehen!" Als Telamon, des Aeakus Sohn, der zunächst saß, dieses hörte, ergrimmte er im Geist, wollte sich erheben und dem Könige mit gleichen Worten vergelten. Aber Jason hielt ihn zurück und antwortete selbst mit sanften Worten: "Fasse dich, Aeetes, wir sind nicht in deine Stadt und deinen Pallast gekommen, dich zu berauben. Wer möchte ein so weites und gefährliches Meer befahren, um fremdes Gut zu ho¬ len? Nur das Schicksal und der grausame Befehl eines bösen Königes brachte mich zu diesem Entschlusse. Ver¬ leih uns das goldene Vließ auf unsere Bitte als eine Wohlthat: du sollst in ganz Griechenland dafür verherr¬ licht werden. Auch sind wir bereit, dir schnellen Dank abzustatten: gibt es einen Krieg in der Nähe, willst du ein Nachbarvolk unterjochen, so nimm uns zu Bundes¬ genossen an, wir wollen mit dir ziehen." So sprach Ja¬ son besänftigend; der König aber ward unschlüssig in seinem Herzen, ob er sie auf der Stelle sollte umbringen
in dieſem Schiffe verſammelt.“ Und nun nannte er ihm die Vornehmſten mit Namen, meldete ihm auch Jaſons, ihres Vetters, Geſchlecht.
Als der König dieſes hörte, erſchrack er in ſeinem Herzen und wurde zornig auf ſeine Enkel, denn durch ſie veranlaßt, glaubte er, ſeyen die Fremdlinge an ſeinen Hof gekommen. Seine Augen brannten unter den bu¬ ſchigen Brauen und er ſprach laut: „Geht mir aus den Augen, ihr Frevler, mit euren Ränken! Nicht das Vließ zu holen, ſondern mir Scepter und Krone zu entreißen, ſeyd ihr hierhergekommen! Säßet ihr nicht als Gäſte an meinem Tiſch, ſo hätte ich euch längſt die Zungen aus¬ reißen und die Hände abhauen laſſen und euch nur die Füße geſchenkt, um davon zu gehen!“ Als Telamon, des Aeakus Sohn, der zunächſt ſaß, dieſes hörte, ergrimmte er im Geiſt, wollte ſich erheben und dem Könige mit gleichen Worten vergelten. Aber Jaſon hielt ihn zurück und antwortete ſelbſt mit ſanften Worten: „Faſſe dich, Aeetes, wir ſind nicht in deine Stadt und deinen Pallaſt gekommen, dich zu berauben. Wer möchte ein ſo weites und gefährliches Meer befahren, um fremdes Gut zu ho¬ len? Nur das Schickſal und der grauſame Befehl eines böſen Königes brachte mich zu dieſem Entſchluſſe. Ver¬ leih uns das goldene Vließ auf unſere Bitte als eine Wohlthat: du ſollſt in ganz Griechenland dafür verherr¬ licht werden. Auch ſind wir bereit, dir ſchnellen Dank abzuſtatten: gibt es einen Krieg in der Nähe, willſt du ein Nachbarvolk unterjochen, ſo nimm uns zu Bundes¬ genoſſen an, wir wollen mit dir ziehen.“ So ſprach Ja¬ ſon beſänftigend; der König aber ward unſchlüſſig in ſeinem Herzen, ob er ſie auf der Stelle ſollte umbringen
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in dieſem Schiffe verſammelt.“ Und nun nannte er ihm
die Vornehmſten mit Namen, meldete ihm auch Jaſons,
ihres Vetters, Geſchlecht.
Als der König dieſes hörte, erſchrack er in ſeinem
Herzen und wurde zornig auf ſeine Enkel, denn durch
ſie veranlaßt, glaubte er, ſeyen die Fremdlinge an ſeinen
Hof gekommen. Seine Augen brannten unter den bu¬
ſchigen Brauen und er ſprach laut: „Geht mir aus den
Augen, ihr Frevler, mit euren Ränken! Nicht das Vließ
zu holen, ſondern mir Scepter und Krone zu entreißen,
ſeyd ihr hierhergekommen! Säßet ihr nicht als Gäſte an
meinem Tiſch, ſo hätte ich euch längſt die Zungen aus¬
reißen und die Hände abhauen laſſen und euch nur die
Füße geſchenkt, um davon zu gehen!“ Als Telamon, des
Aeakus Sohn, der zunächſt ſaß, dieſes hörte, ergrimmte
er im Geiſt, wollte ſich erheben und dem Könige mit
gleichen Worten vergelten. Aber Jaſon hielt ihn zurück
und antwortete ſelbſt mit ſanften Worten: „Faſſe dich,
Aeetes, wir ſind nicht in deine Stadt und deinen Pallaſt
gekommen, dich zu berauben. Wer möchte ein ſo weites
und gefährliches Meer befahren, um fremdes Gut zu ho¬
len? Nur das Schickſal und der grauſame Befehl eines
böſen Königes brachte mich zu dieſem Entſchluſſe. Ver¬
leih uns das goldene Vließ auf unſere Bitte als eine
Wohlthat: du ſollſt in ganz Griechenland dafür verherr¬
licht werden. Auch ſind wir bereit, dir ſchnellen Dank
abzuſtatten: gibt es einen Krieg in der Nähe, willſt du
ein Nachbarvolk unterjochen, ſo nimm uns zu Bundes¬
genoſſen an, wir wollen mit dir ziehen.“ So ſprach Ja¬
ſon beſänftigend; der König aber ward unſchlüſſig in
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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