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Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].

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Lucidor.
und sprecht Vater unser. Jst GOtt euer Vater? Warumb ver-
haltet ihr euch dann nicht als sein Kind? Es fodert ja sonsten das
Gesetz der Natur/ daß ein Sohn seinem Vater in Tugenden nach-
arte. Da AEneas der tapffere Held/ seinen Sohn Ascanium wolte
zur Tugend auffmuntern/ da stellet er ihm sein und seines Vettern
Exempel vor/ und redet ihn beym Virgilio mit diesen heroischen
Worten an:

Disce puer virtutem ex meverumque laborem,
Te pater AEneas & avunculus excitet Hector.

Das ist so viel gesagt: Lerne lieber Sohn/ lerne Tugend und Tapf-
ferkeit von mir/ kan dich nichts anders dazu bewegen/ so laß dich
mein und deines Vettern Exempel dazu auffmuntern. Kan nun
eines sterblichen Vaters Tugend einen Sohn zur löblichen Nach-
folgung erwecken/ wie vielmehr solte es thun das Exempel deß him-
lischen Vaters/ bey denen/ die sich Kinder Gottes nennen lassen?
Alexander, der grosse Macedonische Held/ dessen Tugend und
Tapfferkeit in aller Welt erschollen ist/ sahe einsmals einen Jüngling
unter seiner Armee/ der auch Alexander hieß/ er hatte aber kein
Edel und tugendhafft Gemüth. Das verdroß Alexandrum und
sagte zu ihm: Juvenis, aut nomen mutato, aut mores. Das ist
so viel gesagt: Jüngling/ laß dich entweder nicht mehr Alexander
heissen/ oder wann du ja so heissen wilst/ wie ich/ so befleissige dich
auch der Tugend/ wie ich thue. Eben also möchte ich auch zu euch sa-
gen/ Lucidor, entweder lasset euch nicht mehr ein Kind Gottes nen-
nen/ oder/ wann ihr diesen herrlichen Titul führen/ und ein Kind
Gottes wollet genennet seyn/ so folget dem Exempel euers himmli-
schen Vaters nach/ der barmhertzig ist/ der auch seinen Feinden und
Beleidigern gutes thut/ der seine Sonne läst auffgehen über Böse
und Gute/ der regnen lässet über Gerechte und Ungerechte. Jst
GOTT euer Vater? so ist der Sohn Gottes euer Bruder. Den-
cket aber/ wie es diesem eurem Bruder gefallen werde/ wann ihr so
gar auß der Art schlaget und nicht thut/ wie er gethan hat? Was thät
er aber? Da er am Stamm deß heiligen Creutzes hieng/ da ihm der
allergrösseste Schimpff/ die allergrösseste Marter begegnete von den
Juden; da ihm der Juden Speichel noch im Angesicht hieng; da
ihm die Ohren noch voll waren von den schimpfflichen Reden/ derer
die vorüber giengen; da ihm die dornerne Krone noch auff dem
Häupte saß; da ihm das Blut noch über das Angesicht floß/ und er
Fug und Recht genug gehabt hätte zu befehlen/ daß die Erde sich

möchte
S iij

Lucidor.
und ſprecht Vater unſer. Jſt GOtt euer Vater? Warumb ver-
haltet ihr euch dann nicht als ſein Kind? Es fodert ja ſonſten das
Geſetz der Natur/ daß ein Sohn ſeinem Vater in Tugenden nach-
arte. Da Æneas der tapffere Held/ ſeinen Sohn Aſcanium wolte
zur Tugend auffmuntern/ da ſtellet er ihm ſein und ſeines Vettern
Exempel vor/ und redet ihn beym Virgilio mit dieſen heroiſchen
Worten an:

Diſce puer virtutem ex meverumque laborem,
Te pater Æneas & avunculus excitet Hector.

Das iſt ſo viel geſagt: Lerne lieber Sohn/ lerne Tugend und Tapf-
ferkeit von mir/ kan dich nichts anders dazu bewegen/ ſo laß dich
mein und deines Vettern Exempel dazu auffmuntern. Kan nun
eines ſterblichen Vaters Tugend einen Sohn zur loͤblichen Nach-
folgung erwecken/ wie vielmehr ſolte es thun das Exempel deß him-
liſchen Vaters/ bey denen/ die ſich Kinder Gottes nennen laſſen?
Alexander, der groſſe Macedoniſche Held/ deſſen Tugend und
Tapfferkeit in aller Welt erſchollen iſt/ ſahe einsmals einen Juͤngling
unter ſeiner Armee/ der auch Alexander hieß/ er hatte aber kein
Edel und tugendhafft Gemuͤth. Das verdroß Alexandrum und
ſagte zu ihm: Juvenis, aut nomen mutato, aut mores. Das iſt
ſo viel geſagt: Juͤngling/ laß dich entweder nicht mehr Alexander
heiſſen/ oder wann du ja ſo heiſſen wilſt/ wie ich/ ſo befleiſſige dich
auch der Tugend/ wie ich thue. Eben alſo moͤchte ich auch zu euch ſa-
gen/ Lucidor, entweder laſſet euch nicht mehr ein Kind Gottes nen-
nen/ oder/ wann ihr dieſen herrlichen Titul fuͤhren/ und ein Kind
Gottes wollet genennet ſeyn/ ſo folget dem Exempel euers himmli-
ſchen Vaters nach/ der barmhertzig iſt/ der auch ſeinen Feinden und
Beleidigern gutes thut/ der ſeine Sonne laͤſt auffgehen uͤber Boͤſe
und Gute/ der regnen laͤſſet uͤber Gerechte und Ungerechte. Jſt
GOTT euer Vater? ſo iſt der Sohn Gottes euer Bruder. Den-
cket aber/ wie es dieſem eurem Bruder gefallen werde/ wann ihr ſo
gar auß der Art ſchlaget und nicht thut/ wie er gethan hat? Was thaͤt
er aber? Da er am Stamm deß heiligen Creutzes hieng/ da ihm der
allergroͤſſeſte Schimpff/ die allergroͤſſeſte Marter begegnete von den
Juden; da ihm der Juden Speichel noch im Angeſicht hieng; da
ihm die Ohren noch voll waren von den ſchimpfflichen Reden/ derer
die voruͤber giengen; da ihm die dornerne Krone noch auff dem
Haͤupte ſaß; da ihm das Blut noch uͤber das Angeſicht floß/ und er
Fug und Recht genug gehabt haͤtte zu befehlen/ daß die Erde ſich

moͤchte
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[277/0319] Lucidor. und ſprecht Vater unſer. Jſt GOtt euer Vater? Warumb ver- haltet ihr euch dann nicht als ſein Kind? Es fodert ja ſonſten das Geſetz der Natur/ daß ein Sohn ſeinem Vater in Tugenden nach- arte. Da Æneas der tapffere Held/ ſeinen Sohn Aſcanium wolte zur Tugend auffmuntern/ da ſtellet er ihm ſein und ſeines Vettern Exempel vor/ und redet ihn beym Virgilio mit dieſen heroiſchen Worten an: Diſce puer virtutem ex meverumque laborem, Te pater Æneas & avunculus excitet Hector. Das iſt ſo viel geſagt: Lerne lieber Sohn/ lerne Tugend und Tapf- ferkeit von mir/ kan dich nichts anders dazu bewegen/ ſo laß dich mein und deines Vettern Exempel dazu auffmuntern. Kan nun eines ſterblichen Vaters Tugend einen Sohn zur loͤblichen Nach- folgung erwecken/ wie vielmehr ſolte es thun das Exempel deß him- liſchen Vaters/ bey denen/ die ſich Kinder Gottes nennen laſſen? Alexander, der groſſe Macedoniſche Held/ deſſen Tugend und Tapfferkeit in aller Welt erſchollen iſt/ ſahe einsmals einen Juͤngling unter ſeiner Armee/ der auch Alexander hieß/ er hatte aber kein Edel und tugendhafft Gemuͤth. Das verdroß Alexandrum und ſagte zu ihm: Juvenis, aut nomen mutato, aut mores. Das iſt ſo viel geſagt: Juͤngling/ laß dich entweder nicht mehr Alexander heiſſen/ oder wann du ja ſo heiſſen wilſt/ wie ich/ ſo befleiſſige dich auch der Tugend/ wie ich thue. Eben alſo moͤchte ich auch zu euch ſa- gen/ Lucidor, entweder laſſet euch nicht mehr ein Kind Gottes nen- nen/ oder/ wann ihr dieſen herrlichen Titul fuͤhren/ und ein Kind Gottes wollet genennet ſeyn/ ſo folget dem Exempel euers himmli- ſchen Vaters nach/ der barmhertzig iſt/ der auch ſeinen Feinden und Beleidigern gutes thut/ der ſeine Sonne laͤſt auffgehen uͤber Boͤſe und Gute/ der regnen laͤſſet uͤber Gerechte und Ungerechte. Jſt GOTT euer Vater? ſo iſt der Sohn Gottes euer Bruder. Den- cket aber/ wie es dieſem eurem Bruder gefallen werde/ wann ihr ſo gar auß der Art ſchlaget und nicht thut/ wie er gethan hat? Was thaͤt er aber? Da er am Stamm deß heiligen Creutzes hieng/ da ihm der allergroͤſſeſte Schimpff/ die allergroͤſſeſte Marter begegnete von den Juden; da ihm der Juden Speichel noch im Angeſicht hieng; da ihm die Ohren noch voll waren von den ſchimpfflichen Reden/ derer die voruͤber giengen; da ihm die dornerne Krone noch auff dem Haͤupte ſaß; da ihm das Blut noch uͤber das Angeſicht floß/ und er Fug und Recht genug gehabt haͤtte zu befehlen/ daß die Erde ſich moͤchte S iij

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Zitationshilfe: Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/319>, abgerufen am 22.05.2024.