Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0009" n="9"/> <p><lb/> Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 7</p> <p><lb/> (vgl. Archiv für slavische Philologie 2, 1877, 338. 669). Aber folgenreicher<lb/> wird die hier mit leidenschaftlichem Eifer ins Werk gesetzte, mit syste-<lb/> matischem Vorbedacht auf volle und dauernde Aneignung des gewaltigen<lb/> Stoffes angelegte Durcharbeitung der in ihrer herben Strenge und wort-<lb/> kargen Sicherheit nur den Starken und Selbständigen anziehenden Gramma-<lb/> tica Celtica, der monumentalen Wegweisung aller Keltologie, durch die<lb/> einst Caspar Zeuss die keltischen Sprachen, mit einem Schlage die trüben<lb/> Nebel der Ignoranz und der Phantastik zerteilend, ins helle Tageslicht der<lb/> Wissenschaft gestellt hatte. Nun erst gewinnen die Anregungen des letzten<lb/> Straßburger Semesters, in dem Zimmer bei dem eben aus Heidelberg be-<lb/> rufenen Windisch eine Vorlesung über irische Grammatik gehört hatte,<lb/> feste Gestalt und dauernde Wirkung: Zeuss und Ebel, der Schöpfer und<lb/> der Erneuerer der Grammatica Celtica, zeigen ihm seine wahre Lebensaufgabe,<lb/> für die alles Bisherige nur ein Praeludium gewesen sein sollte. Er hat sie<lb/> mit der für sein Wesen bezeichnenden raschen Entschlossenheit und ziel-<lb/> sicheren Konsequenz alsbald ergriffen und seine Arbeit ganz auf sie ein-<lb/> gestellt, als die Veröffentlichung des ‘Altindischen Lebens’ ihn definitiv<lb/> freigab. Zugleich mit der ersten Probe seiner keltischen Studien (Zeit-<lb/> schrift für vergleichende Sprachforschung 24, 201) hat er noch eine kleine,<lb/> aber fördernde Untersuchung ‘Zur Paligrammatik’ (ebenda 220, April 1877)<lb/> dem Druck übergeben; seitdem konzentriert sich, von ein paar Rezensionen<lb/> abgesehen, seine fruchtbare und vielseitige, immer von großen Gesichts-<lb/> punkten beherrschte Schriftstellerei ausschließlich auf das Keltentum, freilich<lb/> auf das Keltentum in allen seinen Verzweigungen, auf die Gesamtheit seiner<lb/> nationalen Lebensäußerungen und seiner geschichtlichen Bedingtheiten.<lb/> Fast mit allen Zweigen des indogermanischen Sprachstammes war er, als<lb/> Schüler und Student, vertraut geworden, auf mehreren Gebieten hatte er sich<lb/> in selbständiger Forschung bewährt; aber er besaß die Gabe, entschlossen<lb/> hinter sich zu werfen, was er als Hemmung des Vorwärtsschreitens empfand,<lb/> und sich dem neuergriffenen Stoffe mit ganzer Seele zu ergeben. Nur die<lb/> akademische Lehrtätigkeit, die er im Sommersemester 1878 als Berliner Pri-<lb/> vatdozent begann —- natürlich mit einem Kolleg über irische Grammatik —,<lb/> erhielt die Verbindung mit dem Veda und dem Avesta, mit indischer und<lb/> iranischer Grammatik lebendig; die germanische Sprachwissenschaft, in der<lb/> er sich doch die literarischen Sporen verdient, hat in den Kreis seiner Vor-<lb/> lesungen keine Aufnahme mehr gefunden. </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0009]
Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 7
(vgl. Archiv für slavische Philologie 2, 1877, 338. 669). Aber folgenreicher
wird die hier mit leidenschaftlichem Eifer ins Werk gesetzte, mit syste-
matischem Vorbedacht auf volle und dauernde Aneignung des gewaltigen
Stoffes angelegte Durcharbeitung der in ihrer herben Strenge und wort-
kargen Sicherheit nur den Starken und Selbständigen anziehenden Gramma-
tica Celtica, der monumentalen Wegweisung aller Keltologie, durch die
einst Caspar Zeuss die keltischen Sprachen, mit einem Schlage die trüben
Nebel der Ignoranz und der Phantastik zerteilend, ins helle Tageslicht der
Wissenschaft gestellt hatte. Nun erst gewinnen die Anregungen des letzten
Straßburger Semesters, in dem Zimmer bei dem eben aus Heidelberg be-
rufenen Windisch eine Vorlesung über irische Grammatik gehört hatte,
feste Gestalt und dauernde Wirkung: Zeuss und Ebel, der Schöpfer und
der Erneuerer der Grammatica Celtica, zeigen ihm seine wahre Lebensaufgabe,
für die alles Bisherige nur ein Praeludium gewesen sein sollte. Er hat sie
mit der für sein Wesen bezeichnenden raschen Entschlossenheit und ziel-
sicheren Konsequenz alsbald ergriffen und seine Arbeit ganz auf sie ein-
gestellt, als die Veröffentlichung des ‘Altindischen Lebens’ ihn definitiv
freigab. Zugleich mit der ersten Probe seiner keltischen Studien (Zeit-
schrift für vergleichende Sprachforschung 24, 201) hat er noch eine kleine,
aber fördernde Untersuchung ‘Zur Paligrammatik’ (ebenda 220, April 1877)
dem Druck übergeben; seitdem konzentriert sich, von ein paar Rezensionen
abgesehen, seine fruchtbare und vielseitige, immer von großen Gesichts-
punkten beherrschte Schriftstellerei ausschließlich auf das Keltentum, freilich
auf das Keltentum in allen seinen Verzweigungen, auf die Gesamtheit seiner
nationalen Lebensäußerungen und seiner geschichtlichen Bedingtheiten.
Fast mit allen Zweigen des indogermanischen Sprachstammes war er, als
Schüler und Student, vertraut geworden, auf mehreren Gebieten hatte er sich
in selbständiger Forschung bewährt; aber er besaß die Gabe, entschlossen
hinter sich zu werfen, was er als Hemmung des Vorwärtsschreitens empfand,
und sich dem neuergriffenen Stoffe mit ganzer Seele zu ergeben. Nur die
akademische Lehrtätigkeit, die er im Sommersemester 1878 als Berliner Pri-
vatdozent begann —- natürlich mit einem Kolleg über irische Grammatik —,
erhielt die Verbindung mit dem Veda und dem Avesta, mit indischer und
iranischer Grammatik lebendig; die germanische Sprachwissenschaft, in der
er sich doch die literarischen Sporen verdient, hat in den Kreis seiner Vor-
lesungen keine Aufnahme mehr gefunden.
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