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Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.

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10 W. SCHULZE:


häuften Stoffes. Die Kontrastierung der paar in Irland selbst erhaltenen
alten Kodizes mit der Fülle des kontinentalen Bestandes an Handschriften
irischer Provenienz illustriert anschaulich das Elend der Vikingerzeit, deren
Stürme seit 795 über Irlands Klöster und Schulen dahingegangen, die Blüte
der alten Kultur niedergebrochen und ihre Träger, die Mönche und Ge-
lehrten, übers Meer gescheucht haben. Die aufmerksame Betrachtung der
großen Sammelhandschriften, die seit dem Ausgange des 11. Jahrhunderts
die Trümmer der Überlieferung in sich aufzunehmen beginnen, wird lehr-
reich für die geschichtliche Erkenntnis der Fundamente, auf denen sich,
unter gewandelten Verhältnissen, die Renaissance der irischen Literatur voll-
zieht, in deren entstellendem Spiegel wir allein das vielfach getrübte Bild
der echten Heldensage aus heidnischer Vorzeit anzuschauen vermögen. Die
lebendigen Laute der modernen Volkssprache müssen helfen, das nur schein-
tote Schriftbild der alten Handschriften für unser Ohr wieder klingend zu
machen. Sprach- und Literaturgeschichte, Kirchen- und Profangeschichte
müssen einander in die Hand arbeiten, um die irische Philologie zu schaffen,
deren Bild hinter all der vernichtenden, in Wahrheit aufbauenden Kritik
der 'Keltischen Studien' in deutlichen Umrissen emporsteigt.
Zwanzig Jahre rüstiger Kraft und schaffensfroher Arbeit hat ihm das
Schicksal noch vergönnt, diese Umrisse auszufüllen und vom Zentrum der
irischen Philologie aus das weite Gesamtreich des Keltentums in Ver-
gangenheit und Gegenwart seiner Forschung zu erobern. Während dieser
zwanzig Jahre, deren gleichmäßiger Ablauf fast nur durch Reisen nach
der Bretagne, Irland (1883. 1885) und Wales (1899) unterbrochen wurde,
hat er der Universität Greifswald angehört (seit Ostern 1881), an allen
Aufgaben und Fragen des akademischen Lebens in Senat und Konzil mit
schnell erworbenem und dauerndem Einflusse beteiligt und den Ausbau
seiner Institutionen als Dekan und Rektor (1891/92) tatkräftig fördernd.
Mit der Geschichte dieser Hochschule, deren Ruhm er als Forscher und
Lehrer gemehrt, wird das Gedächtnis seines Wirkens dauernd verknüpft
bleiben. Auch in dem Bilde, das ich von ihm in der Seele bewahre, ge-
hört beides untrennbar zusammen. Dort in der stillen Ostseestadt, wohin
der Ruf seines Namens mich gezogen, hab ich ihn kennen gelernt, zuerst
als Student im Sommer 1883, in der Vollkraft des Lebens, in stetigem
Anstiege zu den Höhen seiner Leistung, in der schmucklos sachlichen,
durch den Eindruck der Persönlichkeit gehobenen Wirkung seines Unter-


10 W. SCHULZE:


häuften Stoffes. Die Kontrastierung der paar in Irland selbst erhaltenen
alten Kodizes mit der Fülle des kontinentalen Bestandes an Handschriften
irischer Provenienz illustriert anschaulich das Elend der Vikingerzeit, deren
Stürme seit 795 über Irlands Klöster und Schulen dahingegangen, die Blüte
der alten Kultur niedergebrochen und ihre Träger, die Mönche und Ge-
lehrten, übers Meer gescheucht haben. Die aufmerksame Betrachtung der
großen Sammelhandschriften, die seit dem Ausgange des 11. Jahrhunderts
die Trümmer der Überlieferung in sich aufzunehmen beginnen, wird lehr-
reich für die geschichtliche Erkenntnis der Fundamente, auf denen sich,
unter gewandelten Verhältnissen, die Renaissance der irischen Literatur voll-
zieht, in deren entstellendem Spiegel wir allein das vielfach getrübte Bild
der echten Heldensage aus heidnischer Vorzeit anzuschauen vermögen. Die
lebendigen Laute der modernen Volkssprache müssen helfen, das nur schein-
tote Schriftbild der alten Handschriften für unser Ohr wieder klingend zu
machen. Sprach- und Literaturgeschichte, Kirchen- und Profangeschichte
müssen einander in die Hand arbeiten, um die irische Philologie zu schaffen,
deren Bild hinter all der vernichtenden, in Wahrheit aufbauenden Kritik
der ‘Keltischen Studien’ in deutlichen Umrissen emporsteigt.
Zwanzig Jahre rüstiger Kraft und schaffensfroher Arbeit hat ihm das
Schicksal noch vergönnt, diese Umrisse auszufüllen und vom Zentrum der
irischen Philologie aus das weite Gesamtreich des Keltentums in Ver-
gangenheit und Gegenwart seiner Forschung zu erobern. Während dieser
zwanzig Jahre, deren gleichmäßiger Ablauf fast nur durch Reisen nach
der Bretagne, Irland (1883. 1885) und Wales (1899) unterbrochen wurde,
hat er der Universität Greifswald angehört (seit Ostern 1881), an allen
Aufgaben und Fragen des akademischen Lebens in Senat und Konzil mit
schnell erworbenem und dauerndem Einflusse beteiligt und den Ausbau
seiner Institutionen als Dekan und Rektor (1891/92) tatkräftig fördernd.
Mit der Geschichte dieser Hochschule, deren Ruhm er als Forscher und
Lehrer gemehrt, wird das Gedächtnis seines Wirkens dauernd verknüpft
bleiben. Auch in dem Bilde, das ich von ihm in der Seele bewahre, ge-
hört beides untrennbar zusammen. Dort in der stillen Ostseestadt, wohin
der Ruf seines Namens mich gezogen, hab ich ihn kennen gelernt, zuerst
als Student im Sommer 1883, in der Vollkraft des Lebens, in stetigem
Anstiege zu den Höhen seiner Leistung, in der schmucklos sachlichen,
durch den Eindruck der Persönlichkeit gehobenen Wirkung seines Unter-

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[12/0012] 10 W. SCHULZE: häuften Stoffes. Die Kontrastierung der paar in Irland selbst erhaltenen alten Kodizes mit der Fülle des kontinentalen Bestandes an Handschriften irischer Provenienz illustriert anschaulich das Elend der Vikingerzeit, deren Stürme seit 795 über Irlands Klöster und Schulen dahingegangen, die Blüte der alten Kultur niedergebrochen und ihre Träger, die Mönche und Ge- lehrten, übers Meer gescheucht haben. Die aufmerksame Betrachtung der großen Sammelhandschriften, die seit dem Ausgange des 11. Jahrhunderts die Trümmer der Überlieferung in sich aufzunehmen beginnen, wird lehr- reich für die geschichtliche Erkenntnis der Fundamente, auf denen sich, unter gewandelten Verhältnissen, die Renaissance der irischen Literatur voll- zieht, in deren entstellendem Spiegel wir allein das vielfach getrübte Bild der echten Heldensage aus heidnischer Vorzeit anzuschauen vermögen. Die lebendigen Laute der modernen Volkssprache müssen helfen, das nur schein- tote Schriftbild der alten Handschriften für unser Ohr wieder klingend zu machen. Sprach- und Literaturgeschichte, Kirchen- und Profangeschichte müssen einander in die Hand arbeiten, um die irische Philologie zu schaffen, deren Bild hinter all der vernichtenden, in Wahrheit aufbauenden Kritik der ‘Keltischen Studien’ in deutlichen Umrissen emporsteigt. Zwanzig Jahre rüstiger Kraft und schaffensfroher Arbeit hat ihm das Schicksal noch vergönnt, diese Umrisse auszufüllen und vom Zentrum der irischen Philologie aus das weite Gesamtreich des Keltentums in Ver- gangenheit und Gegenwart seiner Forschung zu erobern. Während dieser zwanzig Jahre, deren gleichmäßiger Ablauf fast nur durch Reisen nach der Bretagne, Irland (1883. 1885) und Wales (1899) unterbrochen wurde, hat er der Universität Greifswald angehört (seit Ostern 1881), an allen Aufgaben und Fragen des akademischen Lebens in Senat und Konzil mit schnell erworbenem und dauerndem Einflusse beteiligt und den Ausbau seiner Institutionen als Dekan und Rektor (1891/92) tatkräftig fördernd. Mit der Geschichte dieser Hochschule, deren Ruhm er als Forscher und Lehrer gemehrt, wird das Gedächtnis seines Wirkens dauernd verknüpft bleiben. Auch in dem Bilde, das ich von ihm in der Seele bewahre, ge- hört beides untrennbar zusammen. Dort in der stillen Ostseestadt, wohin der Ruf seines Namens mich gezogen, hab ich ihn kennen gelernt, zuerst als Student im Sommer 1883, in der Vollkraft des Lebens, in stetigem Anstiege zu den Höhen seiner Leistung, in der schmucklos sachlichen, durch den Eindruck der Persönlichkeit gehobenen Wirkung seines Unter-

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Zitationshilfe: Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulze_zimmer_1911/12>, abgerufen am 25.11.2024.