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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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Gerüst auf einem langen Saale aufschlagen
müssen, der ziemlich niedrig war, und mich an
das Theater der Drey Rosen, in der Wills-
drufer Vorstadt bey Dresden, erinnerte. Viel-
leicht wäre mir diese Gesellschaft minder gut
vorgekommen, wenn mir die letzten Vorstellun-
gen, die ich auf deutschen Bühnen gesehen,
minder mißfallen hätten. In der That, diese
Leute hatten doch Anstand, Ton und Leichtig-
keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung,
gehen, stehen und sich setzen; und hatten ihre
Rollen so gefaßt und gelernt, daß sie dieselben
passend und höchst geläufig zu geben verstanden.
Auch die Zuschauer ihrerseits waren schon nicht
mehr so wunderlich deutsch gesinnt, daß sie
ihren Beyfall ängstlich zurück gehalten, daß sie
nicht von ganzem Herzen gelacht hätten, wenn
etwas Lächerliches vorkam, und daß sie nicht
jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben
und dem Dichter, wie dem Schauspieler, jedem
was ihm gebührte, zugetheilt haben sollten.
In der That, die Deutschen, besonders die
Niederdeutschen, sind zu feyerliche Schauspieler
und Schauspielliebhaber; und mir scheint es,
als ob sie die alten protestantisch-theologischen

Sechstes Heft. U

Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen
muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an
das Theater der Drey Roſen, in der Wills-
drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel-
leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut
vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun-
gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen,
minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe
Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig-
keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung,
gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre
Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben
paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden.
Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht
mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie
ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie
nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn
etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht
jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben
und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem
was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten.
In der That, die Deutſchen, beſonders die
Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler
und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es,
als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen

Sechstes Heft. U
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[305/0577] Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an das Theater der Drey Roſen, in der Wills- drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel- leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun- gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen, minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig- keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung, gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden. Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten. In der That, die Deutſchen, beſonders die Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es, als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen Sechstes Heft. U

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/577>, abgerufen am 24.11.2024.