Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel-
ches die Alte einige Tropfen Unschlitt tröpfelte
und solchergestalt ihr Endchen Licht befestigte,
mit der Vertröstung, daß sie mir bald einen
Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte
bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach-
te. Es war rund umher mit uralter Täfeley
bekleidet. Ein paar hohe, mit Eisen beschla-
gene, feste Schränke standen an den Seiten,
und zwischen ihnen hingen mehrere schwarz
geräucherte Gemälde, worauf ich unter andern
einen gefesselten armen Sünder, und ein jüng-
stes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt,
erblickte. Am obern Ende des Tisches, vor ei-
nem Lehnsessel, stand ein Todtenkopf, und
über demselben hing der Griff zu einer Klin-
gel herab. Kurz, ich befand mich, was man
schon errathen haben wird, auf dem Rath-
hause, in der Gerichtsstube, auf dem Lehn-
stuhle des Bürgermeisters von Oberwiesenthal.
Ein Abendessen, das zu diesen Umgebungen
paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-

Fünftes Heft. D

Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel-
ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte
und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte,
mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen
Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte
bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach-
te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley
bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla-
gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten,
und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz
geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern
einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng-
ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt,
erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei-
nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und
uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin-
gel herab. Kurz, ich befand mich, was man
ſchon errathen haben wird, auf dem Rath-
hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn-
ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal.
Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen
paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-

Fuͤnftes Heft. D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0057" n="49"/>
Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel-<lb/>
ches die Alte einige Tropfen Un&#x017F;chlitt tro&#x0364;pfelte<lb/>
und &#x017F;olcherge&#x017F;talt ihr Endchen Licht befe&#x017F;tigte,<lb/>
mit der Vertro&#x0364;&#x017F;tung, daß &#x017F;ie mir bald einen<lb/>
Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte<lb/>
bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach-<lb/>
te. Es war rund umher mit uralter Ta&#x0364;feley<lb/>
bekleidet. Ein paar hohe, mit Ei&#x017F;en be&#x017F;chla-<lb/>
gene, fe&#x017F;te Schra&#x0364;nke &#x017F;tanden an den Seiten,<lb/>
und zwi&#x017F;chen ihnen hingen mehrere &#x017F;chwarz<lb/>
gera&#x0364;ucherte Gema&#x0364;lde, worauf ich unter andern<lb/>
einen gefe&#x017F;&#x017F;elten armen Su&#x0364;nder, und ein ju&#x0364;ng-<lb/>
&#x017F;tes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt,<lb/>
erblickte. Am obern Ende des Ti&#x017F;ches, vor ei-<lb/>
nem Lehn&#x017F;e&#x017F;&#x017F;el, &#x017F;tand ein Todtenkopf, und<lb/>
u&#x0364;ber dem&#x017F;elben hing der Griff zu einer Klin-<lb/>
gel herab. Kurz, ich befand mich, was man<lb/>
&#x017F;chon errathen haben wird, auf dem Rath-<lb/>
hau&#x017F;e, in der Gerichts&#x017F;tube, auf dem Lehn-<lb/>
&#x017F;tuhle des Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ters von Oberwie&#x017F;enthal.<lb/>
Ein Abende&#x017F;&#x017F;en, das zu die&#x017F;en Umgebungen<lb/>
paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Fu&#x0364;nftes Heft. D</fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0057] Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel- ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte, mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach- te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla- gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten, und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng- ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt, erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei- nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin- gel herab. Kurz, ich befand mich, was man ſchon errathen haben wird, auf dem Rath- hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn- ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal. Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam- Fuͤnftes Heft. D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/57
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/57>, abgerufen am 09.05.2024.