Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

niß überschüttete, noch in zu frischem Anden-
ken. Dieser Stand war damals so weit her-
unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an-
fing, die sich demselben widmen wollten; und
daß man spottend sagte: man würde noch
Seminaristen wie Rekruten mit Gewalt aus-
heben müssen. Damals wurden auch die Bahrd-
tischen Schriften von dem gemeinen Volke hier
sehr häufig gelesen; und sie gaben einigen
schwärmerischen Gesellschaften, in denen der
schnelle Uebergang von den römischen Lehren
zu den Grundsätzen dieses, selbst bey Prote-
stanten als zu stürmisch betrachteten, Religi-
onsverbesserers, ungewöhnliche Ueberzeugungen
erweckte, die Entstehung. Aus einer dieser
Gesellschaften schien der Schuster noch zu
stammen, der während meiner Anwesenheit in
Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der
Gottheit Christi, am Pranger stand, und von
mehreren alten Mütterchen eifrig ausgescholten,
von den übrigen (vermuthlich wie er denken-
den) aber fast öffentlich bedauert wurde. Da

niß uͤberſchuͤttete, noch in zu friſchem Anden-
ken. Dieſer Stand war damals ſo weit her-
unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an-
fing, die ſich demſelben widmen wollten; und
daß man ſpottend ſagte: man wuͤrde noch
Seminariſten wie Rekruten mit Gewalt aus-
heben muͤſſen. Damals wurden auch die Bahrd-
tiſchen Schriften von dem gemeinen Volke hier
ſehr haͤufig geleſen; und ſie gaben einigen
ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaften, in denen der
ſchnelle Uebergang von den roͤmiſchen Lehren
zu den Grundſaͤtzen dieſes, ſelbſt bey Prote-
ſtanten als zu ſtuͤrmiſch betrachteten, Religi-
onsverbeſſerers, ungewoͤhnliche Ueberzeugungen
erweckte, die Entſtehung. Aus einer dieſer
Geſellſchaften ſchien der Schuſter noch zu
ſtammen, der waͤhrend meiner Anweſenheit in
Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der
Gottheit Chriſti, am Pranger ſtand, und von
mehreren alten Muͤtterchen eifrig ausgeſcholten,
von den uͤbrigen (vermuthlich wie er denken-
den) aber faſt oͤffentlich bedauert wurde. Da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0506" n="234"/>
niß u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;ttete, noch in zu fri&#x017F;chem Anden-<lb/>
ken. Die&#x017F;er Stand war damals &#x017F;o weit her-<lb/>
unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an-<lb/>
fing, die &#x017F;ich dem&#x017F;elben widmen wollten; und<lb/>
daß man &#x017F;pottend &#x017F;agte: man wu&#x0364;rde noch<lb/>
Seminari&#x017F;ten wie Rekruten mit Gewalt aus-<lb/>
heben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Damals wurden auch die Bahrd-<lb/>
ti&#x017F;chen Schriften von dem gemeinen Volke hier<lb/>
&#x017F;ehr ha&#x0364;ufig gele&#x017F;en; und &#x017F;ie gaben einigen<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, in denen der<lb/>
&#x017F;chnelle Uebergang von den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Lehren<lb/>
zu den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen die&#x017F;es, &#x017F;elb&#x017F;t bey Prote-<lb/>
&#x017F;tanten als zu &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch betrachteten, Religi-<lb/>
onsverbe&#x017F;&#x017F;erers, ungewo&#x0364;hnliche Ueberzeugungen<lb/>
erweckte, die Ent&#x017F;tehung. Aus einer die&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;chien der Schu&#x017F;ter noch zu<lb/>
&#x017F;tammen, der wa&#x0364;hrend meiner Anwe&#x017F;enheit in<lb/>
Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der<lb/>
Gottheit Chri&#x017F;ti, am Pranger &#x017F;tand, und von<lb/>
mehreren alten Mu&#x0364;tterchen eifrig ausge&#x017F;cholten,<lb/>
von den u&#x0364;brigen (vermuthlich wie er denken-<lb/>
den) aber fa&#x017F;t o&#x0364;ffentlich bedauert wurde. Da<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0506] niß uͤberſchuͤttete, noch in zu friſchem Anden- ken. Dieſer Stand war damals ſo weit her- unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an- fing, die ſich demſelben widmen wollten; und daß man ſpottend ſagte: man wuͤrde noch Seminariſten wie Rekruten mit Gewalt aus- heben muͤſſen. Damals wurden auch die Bahrd- tiſchen Schriften von dem gemeinen Volke hier ſehr haͤufig geleſen; und ſie gaben einigen ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaften, in denen der ſchnelle Uebergang von den roͤmiſchen Lehren zu den Grundſaͤtzen dieſes, ſelbſt bey Prote- ſtanten als zu ſtuͤrmiſch betrachteten, Religi- onsverbeſſerers, ungewoͤhnliche Ueberzeugungen erweckte, die Entſtehung. Aus einer dieſer Geſellſchaften ſchien der Schuſter noch zu ſtammen, der waͤhrend meiner Anweſenheit in Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der Gottheit Chriſti, am Pranger ſtand, und von mehreren alten Muͤtterchen eifrig ausgeſcholten, von den uͤbrigen (vermuthlich wie er denken- den) aber faſt oͤffentlich bedauert wurde. Da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/506
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/506>, abgerufen am 17.05.2024.