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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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ein Frauenzimmer, deren Chemise von so fei-
ner Gattung Mousselin ist, daß man ihr ohne
Schaam das "Fräulein" und "Ihro
Gnaden
" geben kann, und die im Stande
ist, einen Stadtlohnwagen zu miethen, tritt
überall in diese Zirkel ein. Sonach hat diese
erdichtete Münze hier wahren Werth und Ge-
halt, und sie befördert und vermannigfacht
das gesellschaftliche Verkehr. Es sind mehrere
gute Häuser in Wien, die einigemal die Wo-
che offen stehen, und die für die Gäste, die
sie empfangen, keine andere Forderung, als
die Einführung von Seiten eines Bekannten
und ein anständiges Aeußere haben; und diese
Häuser sind in der That nicht die unscheinbar-
sten und langweiligsten in Wien.

So ist auch die steife Nachahmungssucht in
der Mode, besonders in gedachtem Kreise, fast
ganz verschwunden, seitdem man sich mehr an
die englische Art hält. Die Wienerinnen sind
schön, haben einen feinen Geschmack in der
Kleidung, und erfinden sehr glücklich; und da

ein Frauenzimmer, deren Chemiſe von ſo fei-
ner Gattung Mouſſelin iſt, daß man ihr ohne
Schaam das „Fraͤulein“ und „Ihro
Gnaden
“ geben kann, und die im Stande
iſt, einen Stadtlohnwagen zu miethen, tritt
uͤberall in dieſe Zirkel ein. Sonach hat dieſe
erdichtete Muͤnze hier wahren Werth und Ge-
halt, und ſie befoͤrdert und vermannigfacht
das geſellſchaftliche Verkehr. Es ſind mehrere
gute Haͤuſer in Wien, die einigemal die Wo-
che offen ſtehen, und die fuͤr die Gaͤſte, die
ſie empfangen, keine andere Forderung, als
die Einfuͤhrung von Seiten eines Bekannten
und ein anſtaͤndiges Aeußere haben; und dieſe
Haͤuſer ſind in der That nicht die unſcheinbar-
ſten und langweiligſten in Wien.

So iſt auch die ſteife Nachahmungsſucht in
der Mode, beſonders in gedachtem Kreiſe, faſt
ganz verſchwunden, ſeitdem man ſich mehr an
die engliſche Art haͤlt. Die Wienerinnen ſind
ſchoͤn, haben einen feinen Geſchmack in der
Kleidung, und erfinden ſehr gluͤcklich; und da

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[231/0503] ein Frauenzimmer, deren Chemiſe von ſo fei- ner Gattung Mouſſelin iſt, daß man ihr ohne Schaam das „Fraͤulein“ und „Ihro Gnaden“ geben kann, und die im Stande iſt, einen Stadtlohnwagen zu miethen, tritt uͤberall in dieſe Zirkel ein. Sonach hat dieſe erdichtete Muͤnze hier wahren Werth und Ge- halt, und ſie befoͤrdert und vermannigfacht das geſellſchaftliche Verkehr. Es ſind mehrere gute Haͤuſer in Wien, die einigemal die Wo- che offen ſtehen, und die fuͤr die Gaͤſte, die ſie empfangen, keine andere Forderung, als die Einfuͤhrung von Seiten eines Bekannten und ein anſtaͤndiges Aeußere haben; und dieſe Haͤuſer ſind in der That nicht die unſcheinbar- ſten und langweiligſten in Wien. So iſt auch die ſteife Nachahmungsſucht in der Mode, beſonders in gedachtem Kreiſe, faſt ganz verſchwunden, ſeitdem man ſich mehr an die engliſche Art haͤlt. Die Wienerinnen ſind ſchoͤn, haben einen feinen Geſchmack in der Kleidung, und erfinden ſehr gluͤcklich; und da

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/503>, abgerufen am 22.11.2024.