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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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sondern einfach, auserlesen und fein; und ein
"neglige" von Mousselin kostet den Weibern
jetzt mehr, als ehedem eine "parure" mit al-
lem Zubehör; so wie den Männern ein feiner
Tuchfrack höher zu stehen kömmt, als ehedem
ein vollständiges Staatskleid von Seide. Die-
ser Geschmack hat auch hier zwischen den mitt-
lern und höhern Ständen fast allen Unterschied
aufgehoben, und auf drey Schritte kann man
den Ladendiener nicht von dem jungen Grafen
und Fürsten unterscheiden. Eben so beym weib-
lichen Geschlechte.

Wenn aber das Ganze wohlhabender erscheint,
so sind die einzelnen Theile im Grunde doch
ärmer, als ehedem. Jetzt trägt man, was
man hat, um, an und mit sich; man kömmt
aus, oder man macht auch Schulden; kurz,
man sammlet nicht mehr, und darin liegt
der große Abstich gegen die vorigen Zeiten.
Der Bürger und Handwerker ißt täglich seine
drey Gerichte, macht seine sonn- und festtägli-
chen Lustfahrten, besucht des Abends seinen

ſondern einfach, auserleſen und fein; und ein
„negligé“ von Mouſſelin koſtet den Weibern
jetzt mehr, als ehedem eine „parure“ mit al-
lem Zubehoͤr; ſo wie den Maͤnnern ein feiner
Tuchfrack hoͤher zu ſtehen koͤmmt, als ehedem
ein vollſtaͤndiges Staatskleid von Seide. Die-
ſer Geſchmack hat auch hier zwiſchen den mitt-
lern und hoͤhern Staͤnden faſt allen Unterſchied
aufgehoben, und auf drey Schritte kann man
den Ladendiener nicht von dem jungen Grafen
und Fuͤrſten unterſcheiden. Eben ſo beym weib-
lichen Geſchlechte.

Wenn aber das Ganze wohlhabender erſcheint,
ſo ſind die einzelnen Theile im Grunde doch
aͤrmer, als ehedem. Jetzt traͤgt man, was
man hat, um, an und mit ſich; man koͤmmt
aus, oder man macht auch Schulden; kurz,
man ſammlet nicht mehr, und darin liegt
der große Abſtich gegen die vorigen Zeiten.
Der Buͤrger und Handwerker ißt taͤglich ſeine
drey Gerichte, macht ſeine ſonn- und feſttaͤgli-
chen Luſtfahrten, beſucht des Abends ſeinen

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[173/0445] ſondern einfach, auserleſen und fein; und ein „negligé“ von Mouſſelin koſtet den Weibern jetzt mehr, als ehedem eine „parure“ mit al- lem Zubehoͤr; ſo wie den Maͤnnern ein feiner Tuchfrack hoͤher zu ſtehen koͤmmt, als ehedem ein vollſtaͤndiges Staatskleid von Seide. Die- ſer Geſchmack hat auch hier zwiſchen den mitt- lern und hoͤhern Staͤnden faſt allen Unterſchied aufgehoben, und auf drey Schritte kann man den Ladendiener nicht von dem jungen Grafen und Fuͤrſten unterſcheiden. Eben ſo beym weib- lichen Geſchlechte. Wenn aber das Ganze wohlhabender erſcheint, ſo ſind die einzelnen Theile im Grunde doch aͤrmer, als ehedem. Jetzt traͤgt man, was man hat, um, an und mit ſich; man koͤmmt aus, oder man macht auch Schulden; kurz, man ſammlet nicht mehr, und darin liegt der große Abſtich gegen die vorigen Zeiten. Der Buͤrger und Handwerker ißt taͤglich ſeine drey Gerichte, macht ſeine ſonn- und feſttaͤgli- chen Luſtfahrten, beſucht des Abends ſeinen

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/445>, abgerufen am 10.05.2024.