nig benutzt. Zwar ist die Auswahl seiner deut- schen und französischen Lesebücher so, daß Lieb- haber, die etwas Besseres, als Romane und Komödien, lesen wollen, große Dürre in sei- nen Verzeichnissen finden müssen; aber dieser Umstand ist es nicht allein, sondern vorzüglich der Mangel an Lesern. Die Deutschen in Warschau haben, vermöge ihres Gewerbes, nützlichere Dinge zu thun, als lesen. Die Mo- de des Lesens, wie sie in Deutschland besteht, ist hier noch nicht eingerissen, und der rechtli- che Kaufmann und Handwerker studiert noch Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi- steln und erbauliche Predigtbücher. Jhre Kin- der lesen höchstens, theils verstohlen, theils unverholen, Romane und Komödien; aber die Familien, in denen letzteres geschieht, leben überhaupt schon auf einem mehr großstädtischen Fuß, und sind der Einfalt der ältern deutschen Sitten meist untreu geworden. Dieß ist vor- züglich der Fall unter den wohlhabenden, jün- gern Kaufmannsfamilien, in denen man Söh-
nig benutzt. Zwar iſt die Auswahl ſeiner deut- ſchen und franzoͤſiſchen Leſebuͤcher ſo, daß Lieb- haber, die etwas Beſſeres, als Romane und Komoͤdien, leſen wollen, große Duͤrre in ſei- nen Verzeichniſſen finden muͤſſen; aber dieſer Umſtand iſt es nicht allein, ſondern vorzuͤglich der Mangel an Leſern. Die Deutſchen in Warſchau haben, vermoͤge ihres Gewerbes, nuͤtzlichere Dinge zu thun, als leſen. Die Mo- de des Leſens, wie ſie in Deutſchland beſteht, iſt hier noch nicht eingeriſſen, und der rechtli- che Kaufmann und Handwerker ſtudiert noch Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi- ſteln und erbauliche Predigtbuͤcher. Jhre Kin- der leſen hoͤchſtens, theils verſtohlen, theils unverholen, Romane und Komoͤdien; aber die Familien, in denen letzteres geſchieht, leben uͤberhaupt ſchon auf einem mehr großſtaͤdtiſchen Fuß, und ſind der Einfalt der aͤltern deutſchen Sitten meiſt untreu geworden. Dieß iſt vor- zuͤglich der Fall unter den wohlhabenden, juͤn- gern Kaufmannsfamilien, in denen man Soͤh-
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nig benutzt. Zwar iſt die Auswahl ſeiner deut-
ſchen und franzoͤſiſchen Leſebuͤcher ſo, daß Lieb-
haber, die etwas Beſſeres, als Romane und
Komoͤdien, leſen wollen, große Duͤrre in ſei-
nen Verzeichniſſen finden muͤſſen; aber dieſer
Umſtand iſt es nicht allein, ſondern vorzuͤglich
der Mangel an Leſern. Die Deutſchen in
Warſchau haben, vermoͤge ihres Gewerbes,
nuͤtzlichere Dinge zu thun, als leſen. Die Mo-
de des Leſens, wie ſie in Deutſchland beſteht,
iſt hier noch nicht eingeriſſen, und der rechtli-
che Kaufmann und Handwerker ſtudiert noch
Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi-
ſteln und erbauliche Predigtbuͤcher. Jhre Kin-
der leſen hoͤchſtens, theils verſtohlen, theils
unverholen, Romane und Komoͤdien; aber die
Familien, in denen letzteres geſchieht, leben
uͤberhaupt ſchon auf einem mehr großſtaͤdtiſchen
Fuß, und ſind der Einfalt der aͤltern deutſchen
Sitten meiſt untreu geworden. Dieß iſt vor-
zuͤglich der Fall unter den wohlhabenden, juͤn-
gern Kaufmannsfamilien, in denen man Soͤh-
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/49>, abgerufen am 03.07.2024.
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