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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795.

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nig benutzt. Zwar ist die Auswahl seiner deut-
schen und französischen Lesebücher so, daß Lieb-
haber, die etwas Besseres, als Romane und
Komödien, lesen wollen, große Dürre in sei-
nen Verzeichnissen finden müssen; aber dieser
Umstand ist es nicht allein, sondern vorzüglich
der Mangel an Lesern. Die Deutschen in
Warschau haben, vermöge ihres Gewerbes,
nützlichere Dinge zu thun, als lesen. Die Mo-
de
des Lesens, wie sie in Deutschland besteht,
ist hier noch nicht eingerissen, und der rechtli-
che Kaufmann und Handwerker studiert noch
Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi-
steln und erbauliche Predigtbücher. Jhre Kin-
der lesen höchstens, theils verstohlen, theils
unverholen, Romane und Komödien; aber die
Familien, in denen letzteres geschieht, leben
überhaupt schon auf einem mehr großstädtischen
Fuß, und sind der Einfalt der ältern deutschen
Sitten meist untreu geworden. Dieß ist vor-
züglich der Fall unter den wohlhabenden, jün-
gern Kaufmannsfamilien, in denen man Söh-

nig benutzt. Zwar iſt die Auswahl ſeiner deut-
ſchen und franzoͤſiſchen Leſebuͤcher ſo, daß Lieb-
haber, die etwas Beſſeres, als Romane und
Komoͤdien, leſen wollen, große Duͤrre in ſei-
nen Verzeichniſſen finden muͤſſen; aber dieſer
Umſtand iſt es nicht allein, ſondern vorzuͤglich
der Mangel an Leſern. Die Deutſchen in
Warſchau haben, vermoͤge ihres Gewerbes,
nuͤtzlichere Dinge zu thun, als leſen. Die Mo-
de
des Leſens, wie ſie in Deutſchland beſteht,
iſt hier noch nicht eingeriſſen, und der rechtli-
che Kaufmann und Handwerker ſtudiert noch
Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi-
ſteln und erbauliche Predigtbuͤcher. Jhre Kin-
der leſen hoͤchſtens, theils verſtohlen, theils
unverholen, Romane und Komoͤdien; aber die
Familien, in denen letzteres geſchieht, leben
uͤberhaupt ſchon auf einem mehr großſtaͤdtiſchen
Fuß, und ſind der Einfalt der aͤltern deutſchen
Sitten meiſt untreu geworden. Dieß iſt vor-
zuͤglich der Fall unter den wohlhabenden, juͤn-
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[39/0049] nig benutzt. Zwar iſt die Auswahl ſeiner deut- ſchen und franzoͤſiſchen Leſebuͤcher ſo, daß Lieb- haber, die etwas Beſſeres, als Romane und Komoͤdien, leſen wollen, große Duͤrre in ſei- nen Verzeichniſſen finden muͤſſen; aber dieſer Umſtand iſt es nicht allein, ſondern vorzuͤglich der Mangel an Leſern. Die Deutſchen in Warſchau haben, vermoͤge ihres Gewerbes, nuͤtzlichere Dinge zu thun, als leſen. Die Mo- de des Leſens, wie ſie in Deutſchland beſteht, iſt hier noch nicht eingeriſſen, und der rechtli- che Kaufmann und Handwerker ſtudiert noch Sonntags- und Feyertags Evangelien, Epi- ſteln und erbauliche Predigtbuͤcher. Jhre Kin- der leſen hoͤchſtens, theils verſtohlen, theils unverholen, Romane und Komoͤdien; aber die Familien, in denen letzteres geſchieht, leben uͤberhaupt ſchon auf einem mehr großſtaͤdtiſchen Fuß, und ſind der Einfalt der aͤltern deutſchen Sitten meiſt untreu geworden. Dieß iſt vor- zuͤglich der Fall unter den wohlhabenden, juͤn- gern Kaufmannsfamilien, in denen man Soͤh-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/49>, abgerufen am 26.04.2024.