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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795.

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wie der Preußische, unmöglich Alles übersehen
werden kann.

Der Briefträger wußte noch das meiste
Polnische unter den hiesigen Postbedienten. Da
ich die bevorstehende Nacht in Rawa bleiben
wollte, so mußte ich der Frau des Postmei-
sters, der nicht zu Hause war, dieß verständ-
lich machen und zugleich, daß ich ein Abend-
essen zu haben wünschte. Gebärden und Mie-
nen reichten nicht zu. Man holte also einen Dol-
metscher, und dieß war besagter Briefbote.
Jch trug ihm deutsch mein Anliegen und mei-
ne Bedürfnisse vor; er sagte es der Wirthin
polnisch wieder; aber sie lachte und schüttelte
den Kopf. Jch fragte den Dragoman um die
Ursach dieser Erscheinung. "Ja, ich weiß
nicht,
" sagte er: "was das ist." -- Nun,
erwiederte ich: Sie sprechen doch pol-
nisch mit ihr
? -- "Ja," sagte er: "ich
spreche freylich polnisch, aber sie ver-
steht mein Polnisch nicht, und des
Herrn Deutsch hab' ich nicht recht

wie der Preußiſche, unmoͤglich Alles uͤberſehen
werden kann.

Der Brieftraͤger wußte noch das meiſte
Polniſche unter den hieſigen Poſtbedienten. Da
ich die bevorſtehende Nacht in Rawa bleiben
wollte, ſo mußte ich der Frau des Poſtmei-
ſters, der nicht zu Hauſe war, dieß verſtaͤnd-
lich machen und zugleich, daß ich ein Abend-
eſſen zu haben wuͤnſchte. Gebaͤrden und Mie-
nen reichten nicht zu. Man holte alſo einen Dol-
metſcher, und dieß war beſagter Briefbote.
Jch trug ihm deutſch mein Anliegen und mei-
ne Beduͤrfniſſe vor; er ſagte es der Wirthin
polniſch wieder; aber ſie lachte und ſchuͤttelte
den Kopf. Jch fragte den Dragoman um die
Urſach dieſer Erſcheinung. „Ja, ich weiß
nicht,
“ ſagte er: „was das iſt.“ — Nun,
erwiederte ich: Sie ſprechen doch pol-
niſch mit ihr
? — „Ja,“ ſagte er: „ich
ſpreche freylich polniſch, aber ſie ver-
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[197/0207] wie der Preußiſche, unmoͤglich Alles uͤberſehen werden kann. Der Brieftraͤger wußte noch das meiſte Polniſche unter den hieſigen Poſtbedienten. Da ich die bevorſtehende Nacht in Rawa bleiben wollte, ſo mußte ich der Frau des Poſtmei- ſters, der nicht zu Hauſe war, dieß verſtaͤnd- lich machen und zugleich, daß ich ein Abend- eſſen zu haben wuͤnſchte. Gebaͤrden und Mie- nen reichten nicht zu. Man holte alſo einen Dol- metſcher, und dieß war beſagter Briefbote. Jch trug ihm deutſch mein Anliegen und mei- ne Beduͤrfniſſe vor; er ſagte es der Wirthin polniſch wieder; aber ſie lachte und ſchuͤttelte den Kopf. Jch fragte den Dragoman um die Urſach dieſer Erſcheinung. „Ja, ich weiß nicht,“ ſagte er: „was das iſt.“ — Nun, erwiederte ich: Sie ſprechen doch pol- niſch mit ihr? — „Ja,“ ſagte er: „ich ſpreche freylich polniſch, aber ſie ver- ſteht mein Polniſch nicht, und des Herrn Deutſch hab' ich nicht recht

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/207>, abgerufen am 03.05.2024.