gen sollte? Man drang sehr ernsthaft auf die Nationaltracht und füllte eine ganze Reichs- tagssitzung, unter großem Geräusch, damit aus. Der Primas, als Zwischenkönig, verlor endlich die Geduld, und erklärte, man würde sich vor ganz Europa lächerlich machen, wenn man diese gehaltlose Frage noch länger behan- delte. -- "Mit nichten!" rief ein Reichsbo- te von Podolien: "Man erlaube mir, die großen Vortheile darzuthun, welche die weise, von unsern Vätern gebilligte und aufrecht er- haltene Tracht mit sich führt! Die Geschich- te aller Zeiten lehrt uns, daß die Gebräuche und die Kleidung des Auslandes zugleich dessen Verderbniß und Sittenlosigkeit mitbrachten. Die Summen, die man für prächtige Kleider in fremde Länder schickt, sind ungeheuer, die reichsten unsrer Landsleute erschöpfen sich da- durch, und was haben sie dafür? Eine Tracht, die den Wuchs des schönsten Mannes entstellt! Wir machen Schulden, um diese Thorheit zu befriedigen, und bringen uns überall um un-
sern
gen ſollte? Man drang ſehr ernſthaft auf die Nationaltracht und fuͤllte eine ganze Reichs- tagsſitzung, unter großem Geraͤuſch, damit aus. Der Primas, als Zwiſchenkoͤnig, verlor endlich die Geduld, und erklaͤrte, man wuͤrde ſich vor ganz Europa laͤcherlich machen, wenn man dieſe gehaltloſe Frage noch laͤnger behan- delte. — „Mit nichten!“ rief ein Reichsbo- te von Podolien: „Man erlaube mir, die großen Vortheile darzuthun, welche die weiſe, von unſern Vaͤtern gebilligte und aufrecht er- haltene Tracht mit ſich fuͤhrt! Die Geſchich- te aller Zeiten lehrt uns, daß die Gebraͤuche und die Kleidung des Auslandes zugleich deſſen Verderbniß und Sittenloſigkeit mitbrachten. Die Summen, die man fuͤr praͤchtige Kleider in fremde Laͤnder ſchickt, ſind ungeheuer, die reichſten unſrer Landsleute erſchoͤpfen ſich da- durch, und was haben ſie dafuͤr? Eine Tracht, die den Wuchs des ſchoͤnſten Mannes entſtellt! Wir machen Schulden, um dieſe Thorheit zu befriedigen, und bringen uns uͤberall um un-
ſern
<TEI><text><body><divn="1"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0154"n="144"/>
gen ſollte</hi>? Man drang ſehr ernſthaft auf<lb/>
die Nationaltracht und fuͤllte eine ganze Reichs-<lb/>
tagsſitzung, unter großem Geraͤuſch, damit<lb/>
aus. Der Primas, als Zwiſchenkoͤnig, verlor<lb/>
endlich die Geduld, und erklaͤrte, man wuͤrde<lb/>ſich vor ganz Europa laͤcherlich machen, wenn<lb/>
man dieſe gehaltloſe Frage noch laͤnger behan-<lb/>
delte. —„Mit nichten!“ rief ein Reichsbo-<lb/>
te von Podolien: „Man erlaube mir, die<lb/>
großen Vortheile darzuthun, welche die weiſe,<lb/>
von unſern Vaͤtern gebilligte und aufrecht er-<lb/>
haltene Tracht mit ſich fuͤhrt! Die Geſchich-<lb/>
te aller Zeiten lehrt uns, daß die Gebraͤuche<lb/>
und die Kleidung des Auslandes zugleich deſſen<lb/>
Verderbniß und Sittenloſigkeit mitbrachten.<lb/>
Die Summen, die man fuͤr praͤchtige Kleider<lb/>
in fremde Laͤnder ſchickt, ſind ungeheuer, die<lb/>
reichſten unſrer Landsleute erſchoͤpfen ſich da-<lb/>
durch, und was haben ſie dafuͤr? Eine Tracht,<lb/>
die den Wuchs des ſchoͤnſten Mannes entſtellt!<lb/>
Wir machen Schulden, um dieſe Thorheit zu<lb/>
befriedigen, und bringen uns uͤberall um un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſern</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0154]
gen ſollte? Man drang ſehr ernſthaft auf
die Nationaltracht und fuͤllte eine ganze Reichs-
tagsſitzung, unter großem Geraͤuſch, damit
aus. Der Primas, als Zwiſchenkoͤnig, verlor
endlich die Geduld, und erklaͤrte, man wuͤrde
ſich vor ganz Europa laͤcherlich machen, wenn
man dieſe gehaltloſe Frage noch laͤnger behan-
delte. — „Mit nichten!“ rief ein Reichsbo-
te von Podolien: „Man erlaube mir, die
großen Vortheile darzuthun, welche die weiſe,
von unſern Vaͤtern gebilligte und aufrecht er-
haltene Tracht mit ſich fuͤhrt! Die Geſchich-
te aller Zeiten lehrt uns, daß die Gebraͤuche
und die Kleidung des Auslandes zugleich deſſen
Verderbniß und Sittenloſigkeit mitbrachten.
Die Summen, die man fuͤr praͤchtige Kleider
in fremde Laͤnder ſchickt, ſind ungeheuer, die
reichſten unſrer Landsleute erſchoͤpfen ſich da-
durch, und was haben ſie dafuͤr? Eine Tracht,
die den Wuchs des ſchoͤnſten Mannes entſtellt!
Wir machen Schulden, um dieſe Thorheit zu
befriedigen, und bringen uns uͤberall um un-
ſern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/154>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.