daß das gespannte Verhältniß zwischen Ruß- land und Preußen immer fort dauern würde; sie baueten auf die Dazwischenkunft Schwe- dens, und übersahen dessen innere Gährungen; sie legten das Stillschweigen Oesterreichs zu ih- rem Vortheil aus; mit einem Worte, sie sa- hen nur das, was sie wünschten, und überleg- ten nicht, ob es auch ausführbar und dauer- haft ausführbar sey. Anstatt sich zu erhalten, wie sie waren, wollten sie wachsen; anstatt der Politik des Schwächern, die es mit kei- nem Theile verdirbt, treu zu bleiben, nahmen sie die Politik eines unabhängigen Staats an, und verbanden sich bestimmt mit einem Andern gegen einen Dritten, der offenbar der mächti- gere blieb, wenn auch seine Macht für den Augenblick zerstreuet war; und, in ihrer un- begreiflichen Verblendung, vergaßen sie den po- litischen Gemeinplatz: daß der Schwächere, der an Uneinigkeiten zwischen Mächtigern Theil nimmt, bey der ersten freundschaftlichen An- näherung dieser, von ihnen zertreten wird.
daß das geſpannte Verhaͤltniß zwiſchen Ruß- land und Preußen immer fort dauern wuͤrde; ſie baueten auf die Dazwiſchenkunft Schwe- dens, und uͤberſahen deſſen innere Gaͤhrungen; ſie legten das Stillſchweigen Oeſterreichs zu ih- rem Vortheil aus; mit einem Worte, ſie ſa- hen nur das, was ſie wuͤnſchten, und uͤberleg- ten nicht, ob es auch ausfuͤhrbar und dauer- haft ausfuͤhrbar ſey. Anſtatt ſich zu erhalten, wie ſie waren, wollten ſie wachſen; anſtatt der Politik des Schwaͤchern, die es mit kei- nem Theile verdirbt, treu zu bleiben, nahmen ſie die Politik eines unabhaͤngigen Staats an, und verbanden ſich beſtimmt mit einem Andern gegen einen Dritten, der offenbar der maͤchti- gere blieb, wenn auch ſeine Macht fuͤr den Augenblick zerſtreuet war; und, in ihrer un- begreiflichen Verblendung, vergaßen ſie den po- litiſchen Gemeinplatz: daß der Schwaͤchere, der an Uneinigkeiten zwiſchen Maͤchtigern Theil nimmt, bey der erſten freundſchaftlichen An- naͤherung dieſer, von ihnen zertreten wird.
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daß das geſpannte Verhaͤltniß zwiſchen Ruß-
land und Preußen immer fort dauern wuͤrde;
ſie baueten auf die Dazwiſchenkunft Schwe-
dens, und uͤberſahen deſſen innere Gaͤhrungen;
ſie legten das Stillſchweigen Oeſterreichs zu ih-
rem Vortheil aus; mit einem Worte, ſie ſa-
hen nur das, was ſie wuͤnſchten, und uͤberleg-
ten nicht, ob es auch ausfuͤhrbar und dauer-
haft ausfuͤhrbar ſey. Anſtatt ſich zu erhalten,
wie ſie waren, wollten ſie wachſen; anſtatt
der Politik des Schwaͤchern, die es mit kei-
nem Theile verdirbt, treu zu bleiben, nahmen
ſie die Politik eines unabhaͤngigen Staats an,
und verbanden ſich beſtimmt mit einem Andern
gegen einen Dritten, der offenbar der maͤchti-
gere blieb, wenn auch ſeine Macht fuͤr den
Augenblick zerſtreuet war; und, in ihrer un-
begreiflichen Verblendung, vergaßen ſie den po-
litiſchen Gemeinplatz: daß der Schwaͤchere,
der an Uneinigkeiten zwiſchen Maͤchtigern Theil
nimmt, bey der erſten freundſchaftlichen An-
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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