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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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Jhre Weiber und Töchter gehören mit zu der
feinen Welt. Die vornehmsten Herren und
Damen machen ihnen die Kour, weil sie in
Geschäften unentbehrlich sind. Sie halten sich
Wagen und Pferde; und diejenigen, die der-
gleichen nicht halten, muß der Klient, in sei-
ner Sache, damit versorgen.

Derselbe Egoismus, und die aus demsel-
ben fließende Vergessenheit aller moralischen
Pflichten, die den öffentlichen Geschäften,
welche den Staat, und das "Mein" und
"Dein" betreffen, in Polen zum Grunde lie-
gen, zeigen ihren Einfluß nicht minder ab-
schreckend in allen übrigen Verhältnissen, in
welchen der Mensch gegen den Menschen ste-
hen kann. Die Gefühle der Freundschaft, der
ehelichen, der väterlichen, der mütterlichen,
der kindlichen, der geschwisterlichen Liebe und
Anhänglichkeit tragen alle den Stempel der
Kälte, der Gleichgültigkeit und des Leichtsinns.
Jeder geht seinen eigenen Weg, sucht seinen

Jhre Weiber und Toͤchter gehoͤren mit zu der
feinen Welt. Die vornehmſten Herren und
Damen machen ihnen die Kour, weil ſie in
Geſchaͤften unentbehrlich ſind. Sie halten ſich
Wagen und Pferde; und diejenigen, die der-
gleichen nicht halten, muß der Klient, in ſei-
ner Sache, damit verſorgen.

Derſelbe Egoismus, und die aus demſel-
ben fließende Vergeſſenheit aller moraliſchen
Pflichten, die den oͤffentlichen Geſchaͤften,
welche den Staat, und das „Mein“ und
„Dein“ betreffen, in Polen zum Grunde lie-
gen, zeigen ihren Einfluß nicht minder ab-
ſchreckend in allen uͤbrigen Verhaͤltniſſen, in
welchen der Menſch gegen den Menſchen ſte-
hen kann. Die Gefuͤhle der Freundſchaft, der
ehelichen, der vaͤterlichen, der muͤtterlichen,
der kindlichen, der geſchwiſterlichen Liebe und
Anhaͤnglichkeit tragen alle den Stempel der
Kaͤlte, der Gleichguͤltigkeit und des Leichtſinns.
Jeder geht ſeinen eigenen Weg, ſucht ſeinen

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[188/0198] Jhre Weiber und Toͤchter gehoͤren mit zu der feinen Welt. Die vornehmſten Herren und Damen machen ihnen die Kour, weil ſie in Geſchaͤften unentbehrlich ſind. Sie halten ſich Wagen und Pferde; und diejenigen, die der- gleichen nicht halten, muß der Klient, in ſei- ner Sache, damit verſorgen. Derſelbe Egoismus, und die aus demſel- ben fließende Vergeſſenheit aller moraliſchen Pflichten, die den oͤffentlichen Geſchaͤften, welche den Staat, und das „Mein“ und „Dein“ betreffen, in Polen zum Grunde lie- gen, zeigen ihren Einfluß nicht minder ab- ſchreckend in allen uͤbrigen Verhaͤltniſſen, in welchen der Menſch gegen den Menſchen ſte- hen kann. Die Gefuͤhle der Freundſchaft, der ehelichen, der vaͤterlichen, der muͤtterlichen, der kindlichen, der geſchwiſterlichen Liebe und Anhaͤnglichkeit tragen alle den Stempel der Kaͤlte, der Gleichguͤltigkeit und des Leichtſinns. Jeder geht ſeinen eigenen Weg, ſucht ſeinen

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/198>, abgerufen am 06.05.2024.