Nation gar keinen Theil; das polnische Staats- recht erwähnt ihrer auch nicht besonders; die Verfassung selbst nimmt auf sie gar keine Rücksicht. Was die Bürger und Juden an Rechten besitzen, sind gewisse Verwilligungen und Freiheiten, die so eben hinlangen, um sie vor Sklaverey zu schützen, und die sie nur durch einen ewigen Kampf mit der Gesellschaft der eigentlichen Staatsbürger, die sich immer weiter auszubreiten sucht, in den noch übrigen Trümmern aufrecht erhalten können. Der Bauer, im Ganzen genommen, hat gar kein Recht im Staate. Der gute oder böse Wille seines Herrn ist sein Schutz oder seine Plage.
Wenn aber irgend ein Umstand die nicht adelichen Bewohner von Polen über ihre Hülf- losigkeit trösten kann, so ist es der, daß der größte Theil des Adels nicht weniger, und noch empfindlicher, von dem kleinern, aber reichern und deßhalb mächtigern, Theile seiner Mitglieder, gedrückt und verachtet wird. Eine allgemeine Freiheit und Gleichheit ist vielleicht
Nation gar keinen Theil; das polniſche Staats- recht erwaͤhnt ihrer auch nicht beſonders; die Verfaſſung ſelbſt nimmt auf ſie gar keine Ruͤckſicht. Was die Buͤrger und Juden an Rechten beſitzen, ſind gewiſſe Verwilligungen und Freiheiten, die ſo eben hinlangen, um ſie vor Sklaverey zu ſchuͤtzen, und die ſie nur durch einen ewigen Kampf mit der Geſellſchaft der eigentlichen Staatsbuͤrger, die ſich immer weiter auszubreiten ſucht, in den noch uͤbrigen Truͤmmern aufrecht erhalten koͤnnen. Der Bauer, im Ganzen genommen, hat gar kein Recht im Staate. Der gute oder boͤſe Wille ſeines Herrn iſt ſein Schutz oder ſeine Plage.
Wenn aber irgend ein Umſtand die nicht adelichen Bewohner von Polen uͤber ihre Huͤlf- loſigkeit troͤſten kann, ſo iſt es der, daß der groͤßte Theil des Adels nicht weniger, und noch empfindlicher, von dem kleinern, aber reichern und deßhalb maͤchtigern, Theile ſeiner Mitglieder, gedruͤckt und verachtet wird. Eine allgemeine Freiheit und Gleichheit iſt vielleicht
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Nation gar keinen Theil; das polniſche Staats-
recht erwaͤhnt ihrer auch nicht beſonders; die
Verfaſſung ſelbſt nimmt auf ſie gar keine
Ruͤckſicht. Was die Buͤrger und Juden an
Rechten beſitzen, ſind gewiſſe Verwilligungen
und Freiheiten, die ſo eben hinlangen, um ſie
vor Sklaverey zu ſchuͤtzen, und die ſie nur
durch einen ewigen Kampf mit der Geſellſchaft
der eigentlichen Staatsbuͤrger, die ſich immer
weiter auszubreiten ſucht, in den noch uͤbrigen
Truͤmmern aufrecht erhalten koͤnnen. Der
Bauer, im Ganzen genommen, hat gar kein
Recht im Staate. Der gute oder boͤſe Wille
ſeines Herrn iſt ſein Schutz oder ſeine Plage.
Wenn aber irgend ein Umſtand die nicht
adelichen Bewohner von Polen uͤber ihre Huͤlf-
loſigkeit troͤſten kann, ſo iſt es der, daß der
groͤßte Theil des Adels nicht weniger, und
noch empfindlicher, von dem kleinern, aber
reichern und deßhalb maͤchtigern, Theile ſeiner
Mitglieder, gedruͤckt und verachtet wird. Eine
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/97>, abgerufen am 23.07.2024.
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