Nach dem Bauer stehen die Juden zu- nächst, trotz ihren Freiheiten, unter der Will- kühr des Edelmanns; er mißhandelt sie als Privatmann und als Mitbeherrscher von Po- len. Er handelt mit ihnen und bezahlt sie wann, wie und wo es ihm gut dünkt; auch gar nicht, wenn er es will darauf ankommen lassen; er schlichtet ihre Handelsstreitigkeiten und läßt sich als Richter von ihnen bezahlen, wenn sie Recht behalten wollen. Nur Din- ge, die ihre Religion betreffen, z. B. ihre Ehen, ihre Erbsonderungen, ihre Bußen etc. überläßt er ihren geistlichen Vorgesetzten; ist aber immer bereit, wenn er dafür bezahlt wird, auch hier Eingriffe zu Gunsten des Verurtheilten zu thun. Mit einem Worte: die Unordnungen des Lehnsystems machen, daß auch die Juden, wie alle übrige mit Freiheiten begabte Einwohner Polens, ih- res politischen Daseyns nie ganz sicher sind.
Zweites Heft. H
Nach dem Bauer ſtehen die Juden zu- naͤchſt, trotz ihren Freiheiten, unter der Will- kuͤhr des Edelmanns; er mißhandelt ſie als Privatmann und als Mitbeherrſcher von Po- len. Er handelt mit ihnen und bezahlt ſie wann, wie und wo es ihm gut duͤnkt; auch gar nicht, wenn er es will darauf ankommen laſſen; er ſchlichtet ihre Handelsſtreitigkeiten und laͤßt ſich als Richter von ihnen bezahlen, wenn ſie Recht behalten wollen. Nur Din- ge, die ihre Religion betreffen, z. B. ihre Ehen, ihre Erbſonderungen, ihre Bußen ꝛc. uͤberlaͤßt er ihren geiſtlichen Vorgeſetzten; iſt aber immer bereit, wenn er dafuͤr bezahlt wird, auch hier Eingriffe zu Gunſten des Verurtheilten zu thun. Mit einem Worte: die Unordnungen des Lehnſyſtems machen, daß auch die Juden, wie alle uͤbrige mit Freiheiten begabte Einwohner Polens, ih- res politiſchen Daſeyns nie ganz ſicher ſind.
Zweites Heft. H
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Nach dem Bauer ſtehen die Juden zu-
naͤchſt, trotz ihren Freiheiten, unter der Will-
kuͤhr des Edelmanns; er mißhandelt ſie als
Privatmann und als Mitbeherrſcher von Po-
len. Er handelt mit ihnen und bezahlt ſie
wann, wie und wo es ihm gut duͤnkt; auch
gar nicht, wenn er es will darauf ankommen
laſſen; er ſchlichtet ihre Handelsſtreitigkeiten
und laͤßt ſich als Richter von ihnen bezahlen,
wenn ſie Recht behalten wollen. Nur Din-
ge, die ihre Religion betreffen, z. B. ihre
Ehen, ihre Erbſonderungen, ihre Bußen ꝛc.
uͤberlaͤßt er ihren geiſtlichen Vorgeſetzten;
iſt aber immer bereit, wenn er dafuͤr bezahlt
wird, auch hier Eingriffe zu Gunſten des
Verurtheilten zu thun. Mit einem Worte:
die Unordnungen des Lehnſyſtems machen,
daß auch die Juden, wie alle uͤbrige mit
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/123>, abgerufen am 16.02.2025.
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