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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

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sen, findet man den Kranken taub und stumm
und ohne den mindesten Anschein, daß ihm
auch der kleinste Rest von Verstand übrig ge-
blieben sey. Einen Bedienten hatte er nicht
bey sich, und in seiner Brieftasche fand sich
nicht die mindeste Aufklärung. Jn seinem Beu-
tel waren 120 Dukaten. Man brachte ihn zu
den barmherzigen Brüdern und gab ihnen das
Geld zu seiner Verpflegung, so wie die Sum-
me, die man aus dem Verkauf seines Reise-
wagens gelöst hatte. Allem Anschein nach ist
er ein Franzose, denn er hatte mit dem Lohn-
Bedienten französisch gesprochen und die Ad-
dresse des Briefes war an einen "Monisieur
Boisblanc"
gerichtet gewesen. Seine Krank-
heit ist eine Starrsucht, die von Zeit zu Zeit
durch starke Zuckungen unterbrochen wird.

Diese Brüder geben auch jährlich eine
Spende von Bier und Brot, die eine Art von
Feyerlichkeit für einen großen Theil der Ein-
wohner von Warschau ist, und auf den zwey-
ten Pfingsttag fällt. Man schlägt dann Bu-

ſen, findet man den Kranken taub und ſtumm
und ohne den mindeſten Anſchein, daß ihm
auch der kleinſte Reſt von Verſtand uͤbrig ge-
blieben ſey. Einen Bedienten hatte er nicht
bey ſich, und in ſeiner Brieftaſche fand ſich
nicht die mindeſte Aufklaͤrung. Jn ſeinem Beu-
tel waren 120 Dukaten. Man brachte ihn zu
den barmherzigen Bruͤdern und gab ihnen das
Geld zu ſeiner Verpflegung, ſo wie die Sum-
me, die man aus dem Verkauf ſeines Reiſe-
wagens geloͤſt hatte. Allem Anſchein nach iſt
er ein Franzoſe, denn er hatte mit dem Lohn-
Bedienten franzoͤſiſch geſprochen und die Ad-
dreſſe des Briefes war an einen „Moniſieur
Boisblanc“
gerichtet geweſen. Seine Krank-
heit iſt eine Starrſucht, die von Zeit zu Zeit
durch ſtarke Zuckungen unterbrochen wird.

Dieſe Bruͤder geben auch jaͤhrlich eine
Spende von Bier und Brot, die eine Art von
Feyerlichkeit fuͤr einen großen Theil der Ein-
wohner von Warſchau iſt, und auf den zwey-
ten Pfingſttag faͤllt. Man ſchlaͤgt dann Bu-

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[109/0127] ſen, findet man den Kranken taub und ſtumm und ohne den mindeſten Anſchein, daß ihm auch der kleinſte Reſt von Verſtand uͤbrig ge- blieben ſey. Einen Bedienten hatte er nicht bey ſich, und in ſeiner Brieftaſche fand ſich nicht die mindeſte Aufklaͤrung. Jn ſeinem Beu- tel waren 120 Dukaten. Man brachte ihn zu den barmherzigen Bruͤdern und gab ihnen das Geld zu ſeiner Verpflegung, ſo wie die Sum- me, die man aus dem Verkauf ſeines Reiſe- wagens geloͤſt hatte. Allem Anſchein nach iſt er ein Franzoſe, denn er hatte mit dem Lohn- Bedienten franzoͤſiſch geſprochen und die Ad- dreſſe des Briefes war an einen „Moniſieur Boisblanc“ gerichtet geweſen. Seine Krank- heit iſt eine Starrſucht, die von Zeit zu Zeit durch ſtarke Zuckungen unterbrochen wird. Dieſe Bruͤder geben auch jaͤhrlich eine Spende von Bier und Brot, die eine Art von Feyerlichkeit fuͤr einen großen Theil der Ein- wohner von Warſchau iſt, und auf den zwey- ten Pfingſttag faͤllt. Man ſchlaͤgt dann Bu-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/127>, abgerufen am 27.04.2024.