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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Welch glücklicher Einfall der alten Dame, sagte Conde -- Leonore, lassen Sie mich diese kostbaren Augenblicke zu Dem benutzen, wozu mich mein Herz unwiderstehlich drängt --

Leonore erbebte und entzog ihm ihren Arm, während sie sich ängstlich umsah, als wolle sie Frau von Breteuil nacheilen.

O um Gottes willen, eilen Sie nicht fort -- zürnen Sie mir nicht -- ich fühle es, meine brüske Leidenschaftlichkeit muß Sie beleidigen -- aber ist es meine Schuld, wenn mein Herz so heiß schlägt? wenn die gewaltigsten, göttlichsten Gefühle stets nur weniger Augenblicke bedürfen, um sich seiner zu bemächtigen?

Sprechen Sie nicht weiter, Herzog, oder ich muß Sie allein lassen!

Sie wissen nicht, wie grausam Sie sind -- was verlange ich denn von Ihnen? Nichts, als ein theilnehmendes Gehör; für meine letzten Empfindungen und Gedanken möchte ich eine schöne und tiefe Seele finden, würdig, sie aufzunehmen und als das Erbe eines Conde zu bewahren, wenn ich nicht mehr bin. Ich habe ja leider nichts Anderes zu vererben -- ich bin ein armer, geächteter Flüchtling!

Conde hatte den Ton angeschlagen, der allein Leonore bewegen konnte, ihm zuzuhören. Er wandte sich an ihr Mitleid, diesen Zauberschlüssel, der jedes Frauenherz öffnet.

Und doch, fuhr er fort, dieses Erbe, das ich Ih-

Welch glücklicher Einfall der alten Dame, sagte Condé — Leonore, lassen Sie mich diese kostbaren Augenblicke zu Dem benutzen, wozu mich mein Herz unwiderstehlich drängt —

Leonore erbebte und entzog ihm ihren Arm, während sie sich ängstlich umsah, als wolle sie Frau von Breteuil nacheilen.

O um Gottes willen, eilen Sie nicht fort — zürnen Sie mir nicht — ich fühle es, meine brüske Leidenschaftlichkeit muß Sie beleidigen — aber ist es meine Schuld, wenn mein Herz so heiß schlägt? wenn die gewaltigsten, göttlichsten Gefühle stets nur weniger Augenblicke bedürfen, um sich seiner zu bemächtigen?

Sprechen Sie nicht weiter, Herzog, oder ich muß Sie allein lassen!

Sie wissen nicht, wie grausam Sie sind — was verlange ich denn von Ihnen? Nichts, als ein theilnehmendes Gehör; für meine letzten Empfindungen und Gedanken möchte ich eine schöne und tiefe Seele finden, würdig, sie aufzunehmen und als das Erbe eines Condé zu bewahren, wenn ich nicht mehr bin. Ich habe ja leider nichts Anderes zu vererben — ich bin ein armer, geächteter Flüchtling!

Condé hatte den Ton angeschlagen, der allein Leonore bewegen konnte, ihm zuzuhören. Er wandte sich an ihr Mitleid, diesen Zauberschlüssel, der jedes Frauenherz öffnet.

Und doch, fuhr er fort, dieses Erbe, das ich Ih-

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[0083] Welch glücklicher Einfall der alten Dame, sagte Condé — Leonore, lassen Sie mich diese kostbaren Augenblicke zu Dem benutzen, wozu mich mein Herz unwiderstehlich drängt — Leonore erbebte und entzog ihm ihren Arm, während sie sich ängstlich umsah, als wolle sie Frau von Breteuil nacheilen. O um Gottes willen, eilen Sie nicht fort — zürnen Sie mir nicht — ich fühle es, meine brüske Leidenschaftlichkeit muß Sie beleidigen — aber ist es meine Schuld, wenn mein Herz so heiß schlägt? wenn die gewaltigsten, göttlichsten Gefühle stets nur weniger Augenblicke bedürfen, um sich seiner zu bemächtigen? Sprechen Sie nicht weiter, Herzog, oder ich muß Sie allein lassen! Sie wissen nicht, wie grausam Sie sind — was verlange ich denn von Ihnen? Nichts, als ein theilnehmendes Gehör; für meine letzten Empfindungen und Gedanken möchte ich eine schöne und tiefe Seele finden, würdig, sie aufzunehmen und als das Erbe eines Condé zu bewahren, wenn ich nicht mehr bin. Ich habe ja leider nichts Anderes zu vererben — ich bin ein armer, geächteter Flüchtling! Condé hatte den Ton angeschlagen, der allein Leonore bewegen konnte, ihm zuzuhören. Er wandte sich an ihr Mitleid, diesen Zauberschlüssel, der jedes Frauenherz öffnet. Und doch, fuhr er fort, dieses Erbe, das ich Ih-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/83>, abgerufen am 12.05.2024.