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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie freute sich, daß er es nicht that. Es lag ein Zeugniß für ihn darin. Er hatte -- für sie -- lügen können, aber er war zu stolz, zu ehrlich, schien es, diese Lüge länger, als es irgend nöthig, fortzusetzen. Er kam ihr so groß, so edel vor in dieser Flucht vor der Unwahrheit. Wie hätte sie sich geschämt, wenn er Zeuge geworden, wie sie selbst so mitten in einem Gewebe von Täuschungen sitze, dessen Fäden fortwährend von ihren Händen mit kecker Schlauheit geschlungen wurden. Es fiel ihr jetzt doppelt schwer aufs Herz; ihre Lage bekam etwas fürchterlich Drückendes.

Als der Förster verschwunden, sahen die Lustwandelnden zwei Männer, welche dem Anschein nach mit ganzer Seele in das Vergnügen einer Wasserfahrt vertieft waren. Sie wurden in einem leichten Kahne stromabwärts von der Flut heran getragen, die sie rasch näher brachte; als sie unsere drei Spaziergänger erblickten, lenkten sie das Boot plötzlich ans Ufer und sprangen bald darauf unmittelbar vor Joseph und den Damen ans Land. Der Eine befestigte das Fahrzeug, der Andere machte Joseph eine höfliche Verbeugung und sagte in französischer Sprache:

Mein Herr, Sie könnten mich sehr verbinden. Ich habe eine Stunde von hier, in dem nächsten Dorfe an dieser Seite des Flusses, den Nachen gefunden und mich seiner bedient. Haben Sie die Güte, ihn durch irgend Jemand wieder an jene Stelle bringen zu lassen; sein unbekannter Eigenthümer wird sich dort schon melden.

sie freute sich, daß er es nicht that. Es lag ein Zeugniß für ihn darin. Er hatte — für sie — lügen können, aber er war zu stolz, zu ehrlich, schien es, diese Lüge länger, als es irgend nöthig, fortzusetzen. Er kam ihr so groß, so edel vor in dieser Flucht vor der Unwahrheit. Wie hätte sie sich geschämt, wenn er Zeuge geworden, wie sie selbst so mitten in einem Gewebe von Täuschungen sitze, dessen Fäden fortwährend von ihren Händen mit kecker Schlauheit geschlungen wurden. Es fiel ihr jetzt doppelt schwer aufs Herz; ihre Lage bekam etwas fürchterlich Drückendes.

Als der Förster verschwunden, sahen die Lustwandelnden zwei Männer, welche dem Anschein nach mit ganzer Seele in das Vergnügen einer Wasserfahrt vertieft waren. Sie wurden in einem leichten Kahne stromabwärts von der Flut heran getragen, die sie rasch näher brachte; als sie unsere drei Spaziergänger erblickten, lenkten sie das Boot plötzlich ans Ufer und sprangen bald darauf unmittelbar vor Joseph und den Damen ans Land. Der Eine befestigte das Fahrzeug, der Andere machte Joseph eine höfliche Verbeugung und sagte in französischer Sprache:

Mein Herr, Sie könnten mich sehr verbinden. Ich habe eine Stunde von hier, in dem nächsten Dorfe an dieser Seite des Flusses, den Nachen gefunden und mich seiner bedient. Haben Sie die Güte, ihn durch irgend Jemand wieder an jene Stelle bringen zu lassen; sein unbekannter Eigenthümer wird sich dort schon melden.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/65>, abgerufen am 13.05.2024.