Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Korb aus der Hand nahm, sagte die Zofe, tief Athem schöpfend.

Das Wild ist theuer erkauft -- in meinem Leben wag' ich's nicht wieder! flüsterte das Fräulein, sich nach dem Forstmanne umschauend.

Als Fräulein von Windschrot an der Schwelle ihres Hauses stand, zog sie einen Schlüssel hervor und öffnete die verschlossene Eingangsthüre. Keine Seele, nicht einmal der Gruß eines Dienstboten empfing sie. Die Räume waren verlassen, dunkel, nackt, einige mit altfränkischen Meubeln höchst nothdürftig besetzt, und dadurch sahen sie doppelt so groß und so öde aus. Andere waren vollständig ausgeleert. Es war unheimlich in den Stuben und Gängen, unheimlich wie in einem Hause, das seit Jahren zu vermiethen steht, und das keinen Einwohner findet, weil Niemand Lust hat, in den weiten, kalten, spukhaften Gelassen zu wohnen.

Die beiden Bewohnerinnen, die Herrin wie die Zofe, hatten seit mehreren Tagen einen hartnäckigen Krieg mit Staub und Spinnengeweben geführt, der aufgewaschene Boden war in vielen Zimmern noch feucht, aber das alte Haus hatte sich sein historisches Recht, an vergangene Herrlichkeit zu mahnen, nicht nehmen lassen. Es hatte sich augenscheinlich in den Kopf gesetzt, ehestens an Altersschwäche zu sterben, und so wies es hartnäckig alle Versuche, es aufzumuntern, von sich. In den dunkeln Kammern hallten die Schritte der Mädchen so dumpf wieder, als läge es gar schon

Korb aus der Hand nahm, sagte die Zofe, tief Athem schöpfend.

Das Wild ist theuer erkauft — in meinem Leben wag' ich's nicht wieder! flüsterte das Fräulein, sich nach dem Forstmanne umschauend.

Als Fräulein von Windschrot an der Schwelle ihres Hauses stand, zog sie einen Schlüssel hervor und öffnete die verschlossene Eingangsthüre. Keine Seele, nicht einmal der Gruß eines Dienstboten empfing sie. Die Räume waren verlassen, dunkel, nackt, einige mit altfränkischen Meubeln höchst nothdürftig besetzt, und dadurch sahen sie doppelt so groß und so öde aus. Andere waren vollständig ausgeleert. Es war unheimlich in den Stuben und Gängen, unheimlich wie in einem Hause, das seit Jahren zu vermiethen steht, und das keinen Einwohner findet, weil Niemand Lust hat, in den weiten, kalten, spukhaften Gelassen zu wohnen.

Die beiden Bewohnerinnen, die Herrin wie die Zofe, hatten seit mehreren Tagen einen hartnäckigen Krieg mit Staub und Spinnengeweben geführt, der aufgewaschene Boden war in vielen Zimmern noch feucht, aber das alte Haus hatte sich sein historisches Recht, an vergangene Herrlichkeit zu mahnen, nicht nehmen lassen. Es hatte sich augenscheinlich in den Kopf gesetzt, ehestens an Altersschwäche zu sterben, und so wies es hartnäckig alle Versuche, es aufzumuntern, von sich. In den dunkeln Kammern hallten die Schritte der Mädchen so dumpf wieder, als läge es gar schon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0018"/>
Korb aus der Hand nahm, sagte die Zofe, tief      Athem schöpfend.</p><lb/>
        <p>Das Wild ist theuer erkauft &#x2014; in meinem Leben wag' ich's nicht wieder! flüsterte das      Fräulein, sich nach dem Forstmanne umschauend.</p><lb/>
        <p>Als Fräulein von Windschrot an der Schwelle ihres Hauses stand, zog sie einen Schlüssel      hervor und öffnete die verschlossene Eingangsthüre. Keine Seele, nicht einmal der Gruß eines      Dienstboten empfing sie. Die Räume waren verlassen, dunkel, nackt, einige mit altfränkischen      Meubeln höchst nothdürftig besetzt, und dadurch sahen sie doppelt so groß und so öde aus.      Andere waren vollständig ausgeleert. Es war unheimlich in den Stuben und Gängen, unheimlich wie      in einem Hause, das seit Jahren zu vermiethen steht, und das keinen Einwohner findet, weil      Niemand Lust hat, in den weiten, kalten, spukhaften Gelassen zu wohnen.</p><lb/>
        <p>Die beiden Bewohnerinnen, die Herrin wie die Zofe, hatten seit mehreren Tagen einen      hartnäckigen Krieg mit Staub und Spinnengeweben geführt, der aufgewaschene Boden war in vielen      Zimmern noch feucht, aber das alte Haus hatte sich sein historisches Recht, an vergangene      Herrlichkeit zu mahnen, nicht nehmen lassen. Es hatte sich augenscheinlich in den Kopf gesetzt,      ehestens an Altersschwäche zu sterben, und so wies es hartnäckig alle Versuche, es      aufzumuntern, von sich. In den dunkeln Kammern hallten die Schritte der Mädchen so dumpf      wieder, als läge es gar schon<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Korb aus der Hand nahm, sagte die Zofe, tief Athem schöpfend. Das Wild ist theuer erkauft — in meinem Leben wag' ich's nicht wieder! flüsterte das Fräulein, sich nach dem Forstmanne umschauend. Als Fräulein von Windschrot an der Schwelle ihres Hauses stand, zog sie einen Schlüssel hervor und öffnete die verschlossene Eingangsthüre. Keine Seele, nicht einmal der Gruß eines Dienstboten empfing sie. Die Räume waren verlassen, dunkel, nackt, einige mit altfränkischen Meubeln höchst nothdürftig besetzt, und dadurch sahen sie doppelt so groß und so öde aus. Andere waren vollständig ausgeleert. Es war unheimlich in den Stuben und Gängen, unheimlich wie in einem Hause, das seit Jahren zu vermiethen steht, und das keinen Einwohner findet, weil Niemand Lust hat, in den weiten, kalten, spukhaften Gelassen zu wohnen. Die beiden Bewohnerinnen, die Herrin wie die Zofe, hatten seit mehreren Tagen einen hartnäckigen Krieg mit Staub und Spinnengeweben geführt, der aufgewaschene Boden war in vielen Zimmern noch feucht, aber das alte Haus hatte sich sein historisches Recht, an vergangene Herrlichkeit zu mahnen, nicht nehmen lassen. Es hatte sich augenscheinlich in den Kopf gesetzt, ehestens an Altersschwäche zu sterben, und so wies es hartnäckig alle Versuche, es aufzumuntern, von sich. In den dunkeln Kammern hallten die Schritte der Mädchen so dumpf wieder, als läge es gar schon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/18
Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/18>, abgerufen am 24.11.2024.