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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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eine Kraft des Zornes in sich, als ob sie den dreisten Roue mit dem impertinenten Lächeln erdrosseln könne.

Daß du und deine Landsleute mich in einen Abgrund von Schande haben blicken lassen, von dem mein Herz nichts ahnte, daß ich jetzt den Sinn von Reden verstehe, die ich für Phrasen lächerlicher Schwindler hielt; ja, mir ist, als sähe ich sie jetzt, die weltentiefe Kluft von Elend, Schmach und Frevel, die du und Deinesgleichen unter dem Boden der Menschheit ausgehöhlt haben sollen! Ich begreife jetzt eure Revolution. Sie will jene Kluft füllen und nimmt dazu eure Rechte, eure Anmaßungen, eure vom Volk erpreßten Schätze, eure Leiber selbst, eure Köpfe! Wehe über euch Frevler! Wie viel Köpfe, wie viel Jahre voll blutiger Arbeit wird sie bedürfen, den unermeßlichen Abgrund zu füllen, die Dämonen da unten zu ersticken, deren Erzeuger ihr wart! Und du stehst lachend da in deinem Uebermuthe, du Thor, und ahnst nicht, daß an dir und deinen Brüdern die Sünde der Jahrhunderte gerächt wird, daß über dir der Fluch der Menschheit schwebt, daß er dich verfolgen und umtreiben wird durch alle Welt, das rastlos wandernde Gespenst der Ruchlosigkeit deiner im Grab verfluchten Ahnen!

Die Worte sprudelten über Leonorens Lippen, ohne daß sie selbst fast wußte, was sie sagte -- ihr Zorn wirkte wie eine Eingebung von oben. Sie schritt stolz, marmorbleich, wie eine Erscheinung an Artois vorüber, riß die Thüre auf, flog einige verfallene

eine Kraft des Zornes in sich, als ob sie den dreisten Roué mit dem impertinenten Lächeln erdrosseln könne.

Daß du und deine Landsleute mich in einen Abgrund von Schande haben blicken lassen, von dem mein Herz nichts ahnte, daß ich jetzt den Sinn von Reden verstehe, die ich für Phrasen lächerlicher Schwindler hielt; ja, mir ist, als sähe ich sie jetzt, die weltentiefe Kluft von Elend, Schmach und Frevel, die du und Deinesgleichen unter dem Boden der Menschheit ausgehöhlt haben sollen! Ich begreife jetzt eure Revolution. Sie will jene Kluft füllen und nimmt dazu eure Rechte, eure Anmaßungen, eure vom Volk erpreßten Schätze, eure Leiber selbst, eure Köpfe! Wehe über euch Frevler! Wie viel Köpfe, wie viel Jahre voll blutiger Arbeit wird sie bedürfen, den unermeßlichen Abgrund zu füllen, die Dämonen da unten zu ersticken, deren Erzeuger ihr wart! Und du stehst lachend da in deinem Uebermuthe, du Thor, und ahnst nicht, daß an dir und deinen Brüdern die Sünde der Jahrhunderte gerächt wird, daß über dir der Fluch der Menschheit schwebt, daß er dich verfolgen und umtreiben wird durch alle Welt, das rastlos wandernde Gespenst der Ruchlosigkeit deiner im Grab verfluchten Ahnen!

Die Worte sprudelten über Leonorens Lippen, ohne daß sie selbst fast wußte, was sie sagte — ihr Zorn wirkte wie eine Eingebung von oben. Sie schritt stolz, marmorbleich, wie eine Erscheinung an Artois vorüber, riß die Thüre auf, flog einige verfallene

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/100>, abgerufen am 13.05.2024.