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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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einen weiten dunkeln Zeitraum voneinander getrennt
sind, ein Lautgesetz gewonnen wird, welche Bürgschaft
ist dafür vorhanden dass es sich mit diesem nicht
ähnlich verhält? Man betrachte auch eine beliebige
Gruppe verwandter Mundarten; man wird sehen wie die
Bedingungskreise der Lautgesetze sich von Ort zu Ort
mannigfach verändern, man wird hier gleichsam die
räumliche Projection zeitlicher Unterschiede erkennen.
Der Annahme von einer Reihe verschiedener Gesetze
widerspricht die Continuität und Wesenseinheit. Wie
steht es aber dann mit der Ausnahmslosigkeit der
Lautgesetze? dürfen wir die Differenzen zwischen zwei
Bedingungskreisen die gleichsam nur zeitlich-räum-
liche Varianten eines einzigen sind, nicht von diesem
oder jenem Standpunkte aus als Ausnahmen auffassen?
Diese innere Erweiterung der Lautgesetze lässt sich
bei der Annahme lautlicher Analogie leicht begreifen.
Ich habe diesen Punkt oben schon berührt, indem ich
das Vorhandensein eines Dualismus im Sprachleben
bestritt; ich habe an einem Beispiele erläutert wie ein
combinatorischer Lautwandel zu einem freien wird.
Selbst der grösste Abstand zwischen den anfänglichen
und den schliesslichen Grenzen braucht nicht zu be-
fremden, sehen wir doch auch die begriffliche Ana-
logie oft von engstbegrenztem Gebiete aus im weitesten
Umfang wirken, wofür sich besonders in der Ge-
schichte der romanischen Participien Belege finden.
Ich halte es sogar nicht für unmöglich dass aus einer
einzigen durch begriffliche Analogie hervorgerufenen
Lautvertauschung ein ganzes Lautgesetz erwachse. Ich
sage keineswegs dass der ursächliche Bedingungskreis
vermittelst der lautlichen Analogie auf allen Seiten
zugleich überschritten würde; der Lautwandel mag

einen weiten dunkeln Zeitraum voneinander getrennt
sind, ein Lautgesetz gewonnen wird, welche Bürgschaft
ist dafür vorhanden dass es sich mit diesem nicht
ähnlich verhält? Man betrachte auch eine beliebige
Gruppe verwandter Mundarten; man wird sehen wie die
Bedingungskreise der Lautgesetze sich von Ort zu Ort
mannigfach verändern, man wird hier gleichsam die
räumliche Projection zeitlicher Unterschiede erkennen.
Der Annahme von einer Reihe verschiedener Gesetze
widerspricht die Continuität und Wesenseinheit. Wie
steht es aber dann mit der Ausnahmslosigkeit der
Lautgesetze? dürfen wir die Differenzen zwischen zwei
Bedingungskreisen die gleichsam nur zeitlich-räum-
liche Varianten eines einzigen sind, nicht von diesem
oder jenem Standpunkte aus als Ausnahmen auffassen?
Diese innere Erweiterung der Lautgesetze lässt sich
bei der Annahme lautlicher Analogie leicht begreifen.
Ich habe diesen Punkt oben schon berührt, indem ich
das Vorhandensein eines Dualismus im Sprachleben
bestritt; ich habe an einem Beispiele erläutert wie ein
combinatorischer Lautwandel zu einem freien wird.
Selbst der grösste Abstand zwischen den anfänglichen
und den schliesslichen Grenzen braucht nicht zu be-
fremden, sehen wir doch auch die begriffliche Ana-
logie oft von engstbegrenztem Gebiete aus im weitesten
Umfang wirken, wofür sich besonders in der Ge-
schichte der romanischen Participien Belege finden.
Ich halte es sogar nicht für unmöglich dass aus einer
einzigen durch begriffliche Analogie hervorgerufenen
Lautvertauschung ein ganzes Lautgesetz erwachse. Ich
sage keineswegs dass der ursächliche Bedingungskreis
vermittelst der lautlichen Analogie auf allen Seiten
zugleich überschritten würde; der Lautwandel mag

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[22/0034] einen weiten dunkeln Zeitraum voneinander getrennt sind, ein Lautgesetz gewonnen wird, welche Bürgschaft ist dafür vorhanden dass es sich mit diesem nicht ähnlich verhält? Man betrachte auch eine beliebige Gruppe verwandter Mundarten; man wird sehen wie die Bedingungskreise der Lautgesetze sich von Ort zu Ort mannigfach verändern, man wird hier gleichsam die räumliche Projection zeitlicher Unterschiede erkennen. Der Annahme von einer Reihe verschiedener Gesetze widerspricht die Continuität und Wesenseinheit. Wie steht es aber dann mit der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze? dürfen wir die Differenzen zwischen zwei Bedingungskreisen die gleichsam nur zeitlich-räum- liche Varianten eines einzigen sind, nicht von diesem oder jenem Standpunkte aus als Ausnahmen auffassen? Diese innere Erweiterung der Lautgesetze lässt sich bei der Annahme lautlicher Analogie leicht begreifen. Ich habe diesen Punkt oben schon berührt, indem ich das Vorhandensein eines Dualismus im Sprachleben bestritt; ich habe an einem Beispiele erläutert wie ein combinatorischer Lautwandel zu einem freien wird. Selbst der grösste Abstand zwischen den anfänglichen und den schliesslichen Grenzen braucht nicht zu be- fremden, sehen wir doch auch die begriffliche Ana- logie oft von engstbegrenztem Gebiete aus im weitesten Umfang wirken, wofür sich besonders in der Ge- schichte der romanischen Participien Belege finden. Ich halte es sogar nicht für unmöglich dass aus einer einzigen durch begriffliche Analogie hervorgerufenen Lautvertauschung ein ganzes Lautgesetz erwachse. Ich sage keineswegs dass der ursächliche Bedingungskreis vermittelst der lautlichen Analogie auf allen Seiten zugleich überschritten würde; der Lautwandel mag

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/34>, abgerufen am 28.03.2024.