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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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rende Hand, wird die täuschende, Lügen verkündende,
zaubernde. So ist denn jene keusche Jungfrau des
Mythos, die nie von dem Hauch einer sinnlichen Lust
berührt worden, zu der unkeuschen Göttin der ausge-
lassensten wildesten Wollust geworden, das schaffende,
geistig erkennende Wort, ist nun durch eine furchtbare
Verwechslung unter dem Bilde des gräulichen Bockes
Mendes angeschaut worden, dessen Kultus alle Schand-
thaten der ausgeartetesten thierischen Wollust in sich
vereinte, aus dem Fisch und der Fischschlange der
sinnlichen Lust, *) ist aber auch jenes furchtbare Gift
gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet
hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das
Gesetz, sind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache
geworden **).

Eben so wie sich durch jene große Sprachenkata-
strophe das Gute ins Böse, das Licht in die Finster-
niß verkehrt hat; so verstellt sich umgekehrt das Bö-
se ins Gute, und in häufigen Beyspielen, wozu sich
schon die oben angeführten gebrauchen lassen, erscheint,
in Mythos und Sprache, das Böse und Giftige,

täu-
*) Merkwürdig ists, daß selbst noch in einer Branche der
Traumsprache die Schlange Sinnlichkeit bezeichnet.
Man erinnert sich dabey an Schwedenborgs Traum-
Geisterwelt. "Das körperlich Sinnliche, sagt er irgend-
wo, wird im andern Leben durch Schlangen vor-
gestellet."
**) Ueber dies Alles Kanne, an verschiedenen Orten,
besonders im Pantheon.
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rende Hand, wird die taͤuſchende, Luͤgen verkuͤndende,
zaubernde. So iſt denn jene keuſche Jungfrau des
Mythos, die nie von dem Hauch einer ſinnlichen Luſt
beruͤhrt worden, zu der unkeuſchen Goͤttin der ausge-
laſſenſten wildeſten Wolluſt geworden, das ſchaffende,
geiſtig erkennende Wort, iſt nun durch eine furchtbare
Verwechslung unter dem Bilde des graͤulichen Bockes
Mendes angeſchaut worden, deſſen Kultus alle Schand-
thaten der ausgearteteſten thieriſchen Wolluſt in ſich
vereinte, aus dem Fiſch und der Fiſchſchlange der
ſinnlichen Luſt, *) iſt aber auch jenes furchtbare Gift
gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet
hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das
Geſetz, ſind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache
geworden **).

Eben ſo wie ſich durch jene große Sprachenkata-
ſtrophe das Gute ins Boͤſe, das Licht in die Finſter-
niß verkehrt hat; ſo verſtellt ſich umgekehrt das Boͤ-
ſe ins Gute, und in haͤufigen Beyſpielen, wozu ſich
ſchon die oben angefuͤhrten gebrauchen laſſen, erſcheint,
in Mythos und Sprache, das Boͤſe und Giftige,

taͤu-
*) Merkwuͤrdig iſts, daß ſelbſt noch in einer Branche der
Traumſprache die Schlange Sinnlichkeit bezeichnet.
Man erinnert ſich dabey an Schwedenborgs Traum-
Geiſterwelt. „Das koͤrperlich Sinnliche, ſagt er irgend-
wo, wird im andern Leben durch Schlangen vor-
geſtellet.“
**) Ueber dies Alles Kanne, an verſchiedenen Orten,
beſonders im Pantheon.
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[81/0091] rende Hand, wird die taͤuſchende, Luͤgen verkuͤndende, zaubernde. So iſt denn jene keuſche Jungfrau des Mythos, die nie von dem Hauch einer ſinnlichen Luſt beruͤhrt worden, zu der unkeuſchen Goͤttin der ausge- laſſenſten wildeſten Wolluſt geworden, das ſchaffende, geiſtig erkennende Wort, iſt nun durch eine furchtbare Verwechslung unter dem Bilde des graͤulichen Bockes Mendes angeſchaut worden, deſſen Kultus alle Schand- thaten der ausgearteteſten thieriſchen Wolluſt in ſich vereinte, aus dem Fiſch und der Fiſchſchlange der ſinnlichen Luſt, *) iſt aber auch jenes furchtbare Gift gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das Geſetz, ſind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache geworden **). Eben ſo wie ſich durch jene große Sprachenkata- ſtrophe das Gute ins Boͤſe, das Licht in die Finſter- niß verkehrt hat; ſo verſtellt ſich umgekehrt das Boͤ- ſe ins Gute, und in haͤufigen Beyſpielen, wozu ſich ſchon die oben angefuͤhrten gebrauchen laſſen, erſcheint, in Mythos und Sprache, das Boͤſe und Giftige, taͤu- *) Merkwuͤrdig iſts, daß ſelbſt noch in einer Branche der Traumſprache die Schlange Sinnlichkeit bezeichnet. Man erinnert ſich dabey an Schwedenborgs Traum- Geiſterwelt. „Das koͤrperlich Sinnliche, ſagt er irgend- wo, wird im andern Leben durch Schlangen vor- geſtellet.“ **) Ueber dies Alles Kanne, an verſchiedenen Orten, beſonders im Pantheon. 6

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/91>, abgerufen am 28.04.2024.