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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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Ehe sehen wir unsere unsterbliche Liebe mit einem
durchaus ungleichartigen, ihrer unwürdigen Gespann
zusammengepaart.

Eine neuere, tiefer gehende Sprachforschung, hat
jene alte Verwechslung selbst überall in der articulir-
ten Sprache und der Verwandschaft ihrer Worte un-
ter einander nachgewiesen. *) Zuerst zeigt sich häufig,
daß die Worte, welche ganz entgegengesetzte Begriffe
bezeichnen, aus einer und derselben Wurzel hervor-
gehen, als wenn die sprechende Seele anfangs mit
den Worten nicht die äußerlichen, einander entgegen-
gesetzten Erscheinungen, sondern das (doppelsinnige)
Organ bezeichnet hätte, das zum Auffassen dieser
Klasse von Erscheinungen geeignet ist. So sind die
Worte, welche warm und kalt bezeichnen, nicht nur
noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B.
Caldo, was im Italienischen warm bedeutet, ist gleich-
lautend mit unserem kalt; sondern selbst in einer und
derselben Sprache, gehen die Worte für kalt und
warm aus einer und derselben Wurzel hervor, (gelu,
gelidus,
Kälte, kalt, mit caleo, calidus, warm) und
der Gott des heißen Südens ist aus dem kalten Nord
geboren. **) So wie sehr häufig in Mythus und
Sprache die gute Gottheit mit dem Bösen verwechselt
und wiederum das Böse als Gutes genommen wird, ***)

so
*) I. A. Kanne älteste Urkunde, -- Pantheon --
Indische Mythe.
**) Pantheon, P. 100.
***) Ebend. 194.

Ehe ſehen wir unſere unſterbliche Liebe mit einem
durchaus ungleichartigen, ihrer unwuͤrdigen Geſpann
zuſammengepaart.

Eine neuere, tiefer gehende Sprachforſchung, hat
jene alte Verwechslung ſelbſt uͤberall in der articulir-
ten Sprache und der Verwandſchaft ihrer Worte un-
ter einander nachgewieſen. *) Zuerſt zeigt ſich haͤufig,
daß die Worte, welche ganz entgegengeſetzte Begriffe
bezeichnen, aus einer und derſelben Wurzel hervor-
gehen, als wenn die ſprechende Seele anfangs mit
den Worten nicht die aͤußerlichen, einander entgegen-
geſetzten Erſcheinungen, ſondern das (doppelſinnige)
Organ bezeichnet haͤtte, das zum Auffaſſen dieſer
Klaſſe von Erſcheinungen geeignet iſt. So ſind die
Worte, welche warm und kalt bezeichnen, nicht nur
noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B.
Caldo, was im Italieniſchen warm bedeutet, iſt gleich-
lautend mit unſerem kalt; ſondern ſelbſt in einer und
derſelben Sprache, gehen die Worte fuͤr kalt und
warm aus einer und derſelben Wurzel hervor, (gelu,
gelidus,
Kaͤlte, kalt, mit caleo, calidus, warm) und
der Gott des heißen Suͤdens iſt aus dem kalten Nord
geboren. **) So wie ſehr haͤufig in Mythus und
Sprache die gute Gottheit mit dem Boͤſen verwechſelt
und wiederum das Boͤſe als Gutes genommen wird, ***)

ſo
*) I. A. Kanne aͤlteſte Urkunde, — Pantheon —
Indiſche Mythe.
**) Pantheon, P. 100.
***) Ebend. 194.
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[78/0088] Ehe ſehen wir unſere unſterbliche Liebe mit einem durchaus ungleichartigen, ihrer unwuͤrdigen Geſpann zuſammengepaart. Eine neuere, tiefer gehende Sprachforſchung, hat jene alte Verwechslung ſelbſt uͤberall in der articulir- ten Sprache und der Verwandſchaft ihrer Worte un- ter einander nachgewieſen. *) Zuerſt zeigt ſich haͤufig, daß die Worte, welche ganz entgegengeſetzte Begriffe bezeichnen, aus einer und derſelben Wurzel hervor- gehen, als wenn die ſprechende Seele anfangs mit den Worten nicht die aͤußerlichen, einander entgegen- geſetzten Erſcheinungen, ſondern das (doppelſinnige) Organ bezeichnet haͤtte, das zum Auffaſſen dieſer Klaſſe von Erſcheinungen geeignet iſt. So ſind die Worte, welche warm und kalt bezeichnen, nicht nur noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B. Caldo, was im Italieniſchen warm bedeutet, iſt gleich- lautend mit unſerem kalt; ſondern ſelbſt in einer und derſelben Sprache, gehen die Worte fuͤr kalt und warm aus einer und derſelben Wurzel hervor, (gelu, gelidus, Kaͤlte, kalt, mit caleo, calidus, warm) und der Gott des heißen Suͤdens iſt aus dem kalten Nord geboren. **) So wie ſehr haͤufig in Mythus und Sprache die gute Gottheit mit dem Boͤſen verwechſelt und wiederum das Boͤſe als Gutes genommen wird, ***) ſo *) I. A. Kanne aͤlteſte Urkunde, — Pantheon — Indiſche Mythe. **) Pantheon, P. 100. ***) Ebend. 194.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/88>, abgerufen am 27.04.2024.